Die Mehrzahl der Automodelle laufen nur einige Jahre vom Band. Oftmals folgt schon nach kurzer Zeit ein Facelift, bevor etwas später der Nachfolger bei den Händlern steht. Doch es gibt Ausnahmen von diesem ungeschriebenen Gesetz. Den seit 1976 baut der russische Autobauer AvtoVAZ seinen bei uns als Lada Niva bekannten Geländewagen.
Eine Laufzeit von bisher 36 Jahren entspricht bei der Mehrzahl der anderen Autobauer einer Vielzahl von Fahrzeuggenerationen. Honda kündigte bei seiner ebenfalls 1976 erstmals präsentierten Baureihe Accord gerade die neunte Generation an. Vom VW Golf entstanden in dieser Zeit sechs Generationen. In Kürze startet die siebte Generation des Volkswagens. Diese Vergleiche zeigen nochmal eindrucksvoll die Zeit, der der Lada Niva entsprang. Die Welt veränderte sich in fast vier Jahrzehnten dramatisch. Der Lada Niva blieb sich immer treu.
Wie die UdSSR mit Fiat einen westlichen Partner für den Autobau gewann!
In den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg konzentrierte sich die Sowjetunion zunächst auf den Aufbau. Personenkraftwagen sah der Plan der gelenkten Wirtschaft lange nur vor, um Vertreter von Behörden oder Kader zu bewegen. Doch auch hinter dem Eisernen Vorgang änderten sich die Zeiten. Schon 1966 beschloss die Staatsführung der UdSSR den Bau eines staatlichen Automobilwerks in Stawropol-Wolschskij. Mit Fiat gewann das kommunistische Riesenreich einen Technologiepartner. Der italienische Hersteller baute das Werk, stellte Know-how und technische Komponenten zur Verfügung.
Fiat befriedigte mit dem Engagement in der UdSSR die Kommunisten in den heimischen Gewerkschaften. Weil bei solchen Geschäfts Symbole wichtig war, benannte die UdSSR den Ort an der Wolga in Togliatti um und würdigte damit den 1964 verstorbenen Vorsitzenden der kommunistischen Partei Italiens. Die UdSSR bezahlte den ganzen Deal mit letztlich minderwertigem Stahl. Dadurch fing sind Fiat nebenbei schlimme Rostprobleme bei seinen Fahrzeugen ein. Bestandteil des Deals war auch, dass fortan rund 1.000 Kilometer südöstlich von Moskau der Fiat 124 in Lizenz vom Band lief.
Der VAZ-2101 wurde der russische Volkswagen!
Für den Einsatz in der Weite der Sowjetunion modifizierten Fiat und seine sowjetischen Partner das Baumuster. Sie verstärkten das Blechkleid und erhöhten die Bodenfreiheit. Zudem passten die Sowjets den Motor an das Wartungsverhalten der Russen und die Spritqualität im Sowjetreich an. Statt des im Westen genutzten Zahnriemens sorgte bei den Russland gebauten Fahrzeugen eine Steuerkette für den Antrieb der oben liegenden Nockenwelle. Die reduzierte Verdichtung ermöglichte, die zunächst als „Shiguli 2101“ bezeichneten Lizenzbauten anders als den Fiat 124 mit Normalbenzin zu betrieben.
Von 1970 bis 2012, als im Zweigwerk des Herstellers in Tschetschenien die Produktion des auf dem 2101 basierenden Lada Nova auslief, entstanden in Russland insgesamt mehr als 41 Millionen Exemplare des Ablegers des Fiat 124. Damit wurde der 2101 das Volksauto der Russen. Doch weil in der damaligen Sowjetunion Partei und Staat auch Bedarf für einen Geländewagen hatten, begann AvtoVAZ mit der Entwicklung des ersten eigenen Autos. Bereits 1976 stellte AvtoVAZ dem Exil-Italiener 2101 mit dem 2121, dem heutigen Lada Niva, einen echten russischen Bruder zur Seite.
Der Lada Niva war der SUV aus dem Kombinat!
Schon seit 1973 setzte die Rote Armee den UAZ-469 der „Uljanowski Awtomobilny Sawod“ in Uljanowsk als Geländefahrzeug ein. Dem Kombinat in Togliatti wies der 5-Jahres-Plan die Konstruktion eines zivilen Geländewagens zu. Dabei griffen die Entwickler auf viele Teile des 2101 zu. Trotzdem entstand der erste eigene Shiguli. Die selbsttragende Karosserie des 2121 kommt ohne den bei vielen Geländewagen üblichen Leiterrahmen aus. Autoblogger Ronan Glon beschrieb die zweitürige Karosserie einmal schlicht als „Renault R5 mit Land Rover Fahrwerk“.
Das paßt, da die Gestaltung des Geländewagens beim Debüt 1976 auf der Höhe der Zeit war. Zudem stellt ein Lada Niva auf (praktisch) allen Wegen in der russischen Weite das Durchkommen sicher. Denn der Ada Niva verfügt übet einen permanenten Allradantrieb mit Differenzialsperre und zuschaltbarer Geländereduktion. Ins Heck des Fahrzeugs pflanzten die Entwickler eine Starrachse. An der Vorderachse vertrauten sie auf Einzelradaufhängungen. Das ist ein technischer Grundaufbau, der seit dem bei vielen SUV und Geländewagen Standard ist.
Mit dem 2121 wurde aus Shiguli Lada
Zum Start des 2121 Niva änderte AvtoVAZ den Markennamen seiner Exportfahrzeuge von Shiguli in Lada. Es sollte in den kommenden vier Jahrzehnten eine der größeren Änderungen bleiben. Sowohl die Karosserie als auch das Fahrwerk des Lada Niva wurden seit dem Start der Produktion im Prinzip nicht verändert. 1995 modifizierte AvtoVAZ das Heck des Standardmodells, um die Ladekante abzusenken. Dabei gab es auch neue Rückleuchten. Schon zwei Jahre zuvor gab es einen Vier-Türer mit 50 cm längerem Radstand ein, der allerdings nie offiziell seinen Weg nach Westeuropa fand.
Irgendwann renovierte AvtoVAZ auch den Innenraum. Der Niva bekam ein neues Armaturenbrett und ein neues Lenkrad mit Pralltopf. Mehr Änderungen gab es unter der Motorhaube. Bei den Exportmodellen vertraute AvtoVAZ unter der Haube ausschließlich auf den bewährten 1.600er des Lada 2101, der im Laufe der Jahre immer wieder an die sich veränderten Abgasbestimmungen angepasst wurde. Für den Heimatmarkt gab es den Niva auch mit 1.300 und 1.500 ccm großen Motoren. Zeitweilig war der Lada Niva auch mit einem von Peugeot gebauten Diesel-Motor verfügbar.
Nach der Auflösung der UdSSR wurde es unübersichtlich!
Seit 1995 übernimmt in den Exportmodellen ausschließlich ein 1,7 Liter großer Einspritzer mit G-Kat den Antrieb. Auf Wunsch lässt sich dieser Motor für den Betrieb mit Autogas umrüsten. Nach der Auflösung der UdSSR entbrannte um das Autowerk in Togliatti ein heftiger Kampf. Aus dem Kombinat AvtoVAZ wurde die Aktiengesellschaft AvtoVAZ. Zeitweilig galt dessen Heimat Togliatti als die Stadt mit der höchsten Kriminalitätsrate der Welt. Die russische Mafia soll versucht haben, sich Einfluss im Werk zu sichern und nahm dabei zeitweilig die ganze Stadt in Geiselhaft.
In den vergangenen Jahren stabilisierte sich die Lage. Dazu trug bei, dass 2001 AvtoVAZ ein Joint Venture mit der GM-Tochter „Chevrolet Motor Division“ vereinbarte. In die dabei gegründete Firma brachte AvtoVAZ den Nachfolger des Niva ein. Zuvor gelang es AvtoVAZ nicht, die Produktion des 1998 als Lada 2123 vorgestellten Modells aufzunehmen. Zusammen mit GM wurde das neue Modell zum Chevrolet Niva und ab 2005 zeitweilig zum beliebtesten Automodell Russlands. Daneben fertigte das Stammhaus AvtoVAZ den bewährten Lada Niva einfach weiter.
Ein Ende der Fertigung des Lada Niva ist nicht in Sicht
2010 gab es im Innenraum nochmals eine leichte Renovierung, denn der Niva findet bis heute seine Kunden. In Deutschland verkauft sich jährlich noch eine kleinere vierstellige Stückzahl des Geländewagens. Beliebt ist der Lada Niva auch in Ländern wie Südafrika, Island, Australien oder Uruguay, wo es ähnliche Straßen wie in Russland gibt. AvtoVAZ arbeitet zusammen mit Renault, die Franzosen beteiligten sich 2009 mit 25% am Unternehmen, an einem Nachfolger. Trotzdem ist ein konkretes Produktionsende des Lada auch nach inzwischen 36 Jahren Produktionslaufzeit immer noch nicht absehbar.
Im Juli 2022 gab AvtoVAZ bekannt, dass die Produktion des heute LADA NIVA Legend SUV genannten Fahrzeugs fortgesetzt wird. Wir haben den Artikel von 2012 bei dieser Gelegenheit mit neuen Bildern bestückt.