Camillo Castiglioni ist eine Legende. Ohne den Österreicher mit italienischen Wurzeln wäre BMW heute ein anderes Unternehmen. Das BR Fernsehen würdigt Castiglioni mit einer Dokumentation. Sie läuft am 14. Januar 2020 um 22.30 Uhr im BR Fernsehen.
Die Gründung von BMW ist – vorsichtig formuliert – unübersichtlich und verworren. Denn die heutige „Bayerische Motoren Werke AG“ erhielten diesen Namen erst 1922 als Camillo Castiglioni in die Bayerischen Flugzeugwerke (BFW) einstieg. Investor Castiglioni brachte den Namen BMW von einem anderen Unternehmen aus seinem Portfolio mit. Denn das ursprüngliche Unternehmen BMW sah seine Zukunft bei der Produktion von Druckluftbremsen für Eisenbahnwagen.
Zusammen mit seinem bisherigen Namen gab es daher seine Motorenbau-Abteilung ab Doch damit nicht genug, sowohl die BFW und die spätere Südbremse verfügen beide über mehrere Vorläufer. Alles zusammen sorgt dafür, dass die Anfangsjahre von BMW heute wahrlich unübersichtlich erscheinen. Doch im Dickicht der Gründungen, Fusionen, Insolvenzen und Übernahmen taucht an mehreren Stellen der Name Camillo Castiglioni auf. Offenbar Castiglioni eine zentrale Figur in dieser bayrischen Realinterpretation von „Dallas“ und „Denver“.
Wer war Camillo Castiglioni?
Camillo Castiglioni erblickte 1879 als Sohn eines Rabbiners in Triest das Licht der Welt. Triest gehört damals zur Doppelmonarchie Österreich-Ungarns. Kein Wunder, dass es den studierten Juristen Anfang des 20. Jahrhunderts nach Wien verschlug. Wien war das Zentrum eines Reichs, das sich damals als Weltmacht verstand. Castiglioni qualifizierte sich als Generalvertreter der Österreichisch-amerikanischen Gummiwarenfabrik in Konstantinopel für höhere Aufgaben. Sein Arbeitgeber holte Castiglioni schnell nach Wien zurück.
In Wien stieg Castiglioni zum Leiter der Exportabteilung und Generaldirektor der heutigen Semperit AG auf. Doch der nur etwas über 1,50 Meter große Manager wollte mehr und nicht nur Angestellter sein. Schon 1907 wirkte Castiglioni an der Gründung der Luftfahrzeug-Gesellschaft, einem Flugzeugbauer mit. Denn Camillo Castiglioni erkannte früh das wirtschaftliche Potenzial der Luftfahrt. Schließlich interessierte sich Militär zunehmend für Fluggeräte. Dank der in diesen Jahren üppigen Rüstungsetats versprach das gute Geschäfte.
Castiglioni und der Name BMW sind damals untrennbar
Castiglioni beteiligte sich im gesamten deutschsprachigen Raum an Flugzeugbauern. Dazu gehören ab 1917 auch die von Karl Rapp gegründete Rapp Motorenwerke GmbH. Mit dem Einstieg von Castiglioni firmieren die Rapp Motorenwerken in Bayerische Motoren-Werke um und werden eine Aktiengesellschaft. Camillo Castiglioni steigt dabei zum Alleininhaber von BMW auf. Während des Ersten Weltkriegs stellen die Motoren von BMW zahlreiche Höhenrekorde auf. Doch nach dem verlorenen Krieg legt der Vertrag von Versailles die Luftfahrtindustrie in Deutschland weitgehend an die Kette.
Das Unternehmen benötigt ein neues Betätigungsfeld und findet dieses im Bau von Bremsen für Eisenbahnen. Daraus entsteht eine Zusammenarbeit mit der Berliner Knorr-Bremse AG, die 1920 das Unternehmen übernimmt. Die neuen Inhaber haben jedoch weder Interesse am Bau von Motoren noch am Namen. Daher verkaufen sie die Motorenbau-Abteilung und die Markenrechte zwei Jahre später zurück an Castiglioni. Im Zuge des Verkaufs wird aus der ursprünglichen BMW die Süddeutsche Bremsen-Aktiengesellschaft.
Der umtriebige Jurist sieht inzwischen auch das Potenzial von Motorrädern und Autos. Castiglioni bringt Motorenbau und Markennamen in die Bayerische Flugzeugwerke (BFW) ein. Das 1916 von Gustav Otto gegründete Unternehmen litt stark unter den Beschränkungen des Versailler Vertrags und hielt sich mehr schlecht als recht über Wasser. Unter dem Einfluss von Castiglioni wird BFW zu BMW. Ein Jahr nach dem Einstieg stellt BMW sein erstes Motorrad vor. Der Rest ist Geschichte! Camillo Castiglioni bleibt in den kommenden Jahren als Vorsitzender des Aufsichtsrats an Bord.
In dieser Rolle fädelt Castiglioni später noch den Kauf der Dixi-Werke ein. Womit BMW 1929 zum Autobauer aufsteigt. Neben BMW hält Castiglioni zahlreiche weitere Beteiligungen und legt sich eine eindrucksvolle Kunstsammlung zu. Dem Theatergenie Max Reinhardt finanziert der Unternehmer der Kauf und die Modernisierung des Theaters in der Josefstadt. Auch bei der Übernahme von Horch durch die Auto Union spielt Castiglioni eine Rolle. Denn Castiglioni übernimmt zeitweise die Aktion des Horch-Eigentümers Moritz Straus, um diese dann an die Auto Union weiterzureichen.
Der Stern sinkt, Camillo Castiglioni geht nach Italien!
Doch Mitte der 1920er-Jahre wendet sich das Blatt. Camillo Castiglioni gibt den George Soros der Zwanziger-Jahre und versucht sich in Devisenspekulationen. Doch die Wette auf einen Kursverlust des Französischen Franc gingen nicht auf. In kurzer Zeit häuft Castiglioni mehr als vier Millionen Dollar Schulden an. Seitdem steht das Firmenimperium von Castiglioni auf dem Fundament der Kredite, die die Banken ihm einräumen. Kurz nach der BMW-Übernahme von Dixi wird öffentlich, dass der BMW-Chefaufseher üppige Provisionen bezog, wenn BMW Flugzeugmotoren verkaufte.
Das gilt auch 1929 schon als Unterschlagung, damit ist Castiglioni nicht mehr zu halten. Ein Bankenkonsortium um die Deutsche Bank übernimmt die von Camillo Castiglioni gehaltenen BMW-Aktien. Castiglioni verlässt das Unternehmen und zieht sich nach Italien zurück. Während des Zweiten Weltkriegs erstreckt sich Camillo Castiglioni in einem katholischen Kloster in San Marino. Nach dem Krieg ist der Unternehmer zeitweise als Berater der sozialistischen Regierung Jugoslawiens tätig und vermittelt in der Frage rund um seine Heimatstadt Triest.
Die Dokumentation über das Leben von Camillo Castiglioni läuft am Dienstag, dem 14. Januar 2020 um 22.30 Uhr im BR Fernsehen. Sie ist zudem ein Jahr lang in der Mediathek des Senders verfügbar.