Auto-Erinnerungen

Hino Contessa 900 Sprint – unbekannte Schönheit aus Japan

In Europa kennen nur wenige Auto-Freunde das Coupé Hino Contessa 900 Sprint. Denn offiziell wurde das kleine Coupé nie nach Europa exportiert. Schade eigentlich, denn die chice Gräfin aus dem Land der aufgehenden Sonne hätte vor gut 50 Jahren auch in Europa Ihre Chance verdient.

Wer mit geöffneten Augen durchs Leben geht, dem fallen die Themen praktisch von alleine ins Blog. Ich kürzlich schon in meinem Vortrag zum Thema Auto-Blogs auf der Cebit in Hannover darüber gesprochen. Dieser Blog-Beitrag über die Hino Contessa ist genau so ein Fall. Denn eigentlich suchte etwas zum Toyota City Spider. Schließlich hätte ein Bild dieser Elektrostudie sehr gut zu meinem Beitrag über elektrische Kleinwagen der 1960er und 1970er-Jahre gepaßt.

Doch statt des Bilds fand ich auf der internationalen Pressewebseite von Toyota „nur“ das Foto eines kleinen hübschen grünen Coupés. Ich hatte keine Ahnung, um was für ein Auto es sich dabei handeln könnte. Gleichwohl kam es mir irgendwie auch vertraut vor. Ich wusste in diesem Moment, dass ich gerade über ein neues Thema für dieses Auto-Blog gestolpert bin. Ich speicherte das Bild, notierte mir den Namen des Autos und fuhr zur Arbeit.

Hino Contessa 900 Sprint
Über dieses Bild stolperte ich bei Toyota: Hino Contessa 900 Sprint – Foto Toyota

Ein paar Tage später nahm ich mich wieder der Sache an. Laut meiner Notiz hieß das schöne Coupé Hino Contessa 900 Sprint. Ich war auch nach etwas Nachdenken immernoch genauso ratlos, wie bei der Entdeckung der Schönheit. Contessa – italienisch für Gräfin – klingt europäisch. Die Marke Hino klingt dafür genauso eindeutig japanisch. Das paßt beides, denn tatsächlich ist die Hino Contessa ein Stück japanisch-europäischer Wirtschaftsgeschichte.

Hino Motors war Lizenznehmer von Renault

Hino Motors, ein Lkw- und Bus-Hersteller aus der gleichnamigen Stadt im Großraum Tokyo, wollte Anfang der 1950er-Jahre auch Autos bauen. In Renault fand Hino einen geeigneten Partner, der das Vorhaben unterstützt. Renault lizensiert den Typ 4CV an Hino. Wie bei diesen Geschäften üblich importiert Hino zunächst CKD-Teilesätze (Completely Knocked Down) und fügt diese Teilesätze mit lokal produzierten Komponenten zu ganzen Autos zusammen.

Das funktioniert besonders in den Anfangsjahren nur mäßig. Zwischen den Beteiligten Renault, Hino und den japanischen Zulieferern gibt es zahlreiche Abstimmungsprobleme. Bei Hino heißt diese Zeit bald „der böse Pfad“. Erst als Hino ab Frühjahr 1958 – nach immerhin fast fünf Jahren – die Produktion ganz übernimmt, bessert sich die Lage. Bis 1961 baut Hino die Schildkröte, so der japanische Spitzname des Hino-Renault 4CV.

Hino-Renault 4CV von 1957
Hino-Renault 4CV von 1957 – Foto: Tennen-Gas

Doch Hino verstand die Lizenzierung des Renault vom Start weg als Initialzündung, um zum eigenständigen Autobauer aufzusteigen. Schon das zweite Modell ist daher eine Eigenentwicklung. Technisch greift allerdings auch die 1961 präsentierte Baureihe Hino Contessa noch in vielen Punkten auf den 4CV zurück. Damit wählt Hino einen ähnlichen Weg wie Renault. Denn auch in Frankreich basiert der 4CV-Nachfolger Dauphine unter dem Blech auf seinem Vorgänger.

Hino findet einen eigenen Weg!

Daher erfordert es einen geübten Blick, um die Verwandtschaft von Contessa und die Dauphine zu erkennen. Während die 1956 vorgestellte Französin mit einer rundlichen Pontonform glänzt, posiert ihre fünf Jahre jüngere japanische Cousine mit kleinen Heckflossen. Eine Gemeinsamkeit sind die seitlichen Lufteinlässe, die die im Heck verbauten Motoren mit Frischluft versorgen. Ansonsten sind Renault Dauphine und Hino Contessa ganz klar zwei unterschiedliche Autos.

Unter dem Blech ist die Verwandtschaft größer. Beide Motoren basieren auf dem Motor des 4CV. Renault vergrößert den Hubraum des Vierzylinders auf 845 ccm. Hino bohrt den Block sogar auf 893 ccm auf. Zudem beschränkt sich Renault zunächst auf eine Leistung von 26,5 PS. Erst ab 1958 entlockt der Staatsbetrieb dem Motor in Zusammenarbeit mit Gordini 33 PS. Die Hino Contessa dagegen verfügt von Anfang an über 35 PS.

Hino Contessa 900
Hino Contessa 900 – Foto: Mytho88

Renault montiert den Kühler des längs eingebauten Vierzylinders an der Spritzwand vor dem Motor. Ein Bild bei auto-pub.net zeigt das sehr schön. Die Techniker in Japan entscheiden sich für die Montage des Kühlers hinter dem Motor. Dazu drehen sie den 35 PS starken Motor um 180 Grad. Damit tauschen Auspuff und Gemischaufbereitung bei Hino im Vergleich zu Renault die Seite. Auch dazu habe ich das passende Bild gefunden.

Nur bei Hino gibt es ein Coupé!

Zudem beauftragt Hino den italienischen Designer Michelotti mit der Gestaltung eines Coupés. Das ist das Auto, dessen Foto ich bei Toyota fand. Die Hino Contessa 900 Sprint wiegt rund 100 Kilogramm weniger als die Limousine. Dazu überarbeitet mit Enrico Nardi ein enger Vertrauter von Giovanni Michelotti den Antrieb. Die Officine Nardi entlockt dem japanisch-französischen Motor mit einem Weber-Doppelvergaser 45 PS. Das reicht für ein Tempo von 140 Kilometern pro Stunde.

Auch wenn Hino seine Fahrzeuge nicht exportiert, geht die Hino Contessa 900 Sprint auf Welttournee. Nach der Premiere auf der Tokyo Auto Show stellen Hino und Michelotti das kleine Coupé auch auf dem Autosalon von Turin (1962) und der New York Auto Show (1963) aus. Dort feiert die Fachwelt den „Hino-Michelotti“. Ich kann das nachvollziehen, denn auch mich zog die kleine Contessa ja bereits beim ersten Blick in den Bann.

Hino Contessa 1300 Coupe L von 1966
Hino Contessa 1300 Coupe L von 1966 – Foto Toyota

Giovanni Michelotti hat mit dem kleinen japanischen Coupé zweifellos ein schönes Auto gebaut. Offensichtlich ist auch die Hino Geschäftsführung begeistert. Sie hat große Pläne und beauftragt Michelotti mit der Gestaltung der zweiten Contessa-Generation. Michelotti erfüllt die Vorgaben und lässt die Gräfin wie bestellt wachsen. Statt 3,80 Meter wie die erste Generation misst die neue Contessa über alles schon 4,15 Meter.

Damit grenzt sich Hino deutlich von Autobauern wie Mazda oder Subaru ab, wo Modelle wie der Carol gerade vorsichtig aus dem Segment der Kei-Cars herauswachsen. Trotzdem ist die 1964 präsentierte zweite Generation Hiro Contessa kein Meisterstück. Die Front der Limousine orientiert sich wie viele andere Autos dieser Zeit am Chevrolet Corvair. Der Rest der Karosserie ähnelt dem Triumph 1300, den Michelotti zeitgleich für die Leyland-Tochter Standard Triumph einkleidet.

Hino in Japan ist ’not amused!

Zumal auch Coupé nicht an die Eleganz der ersten Generation anknüpfen kann. Dazu hat der Kraftakt mit zwei Generationen in vier Jahren viel Geld gekostet. Das drückt den Aktienkurs. Mit einer feindlichen Übernahme bringt Toyota den Konkurrenten unter seine Kontrolle und richtet das Unternehmen neu aus. Hino konzentriert sich ab 1966 auf den Bau von Nutzfahrzeugen. Nur die Lizenzverträge in Israel (Autocars) und Neuseeland (Campbell Motors), wo die Hino-Modelle aus CKD-Teilsätze entstehen, laufen noch zwei Jahre weiter. Dann ist die Automarke Hino Geschichte.

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Als Kind der 1970er-Jahre hatte Tom das große Vergnügen, in einem ausgesprochen automobilen Umfeld aufzuwachsen. Das war der optimale Nährboden, um heute über Autos zu schreiben und regelmäßig am Mikrofon über Autos zu sprechen. Denn Tom Schwede moderiert seit 2010 bei großen Oldtimer- und Klassik-Veranstaltungen in Deutschland. So ist Tom unter anderem bei den Classic Days (früher Schloß Dyck, heute in Düsseldorf) oder dem 1.000 Kilometer-Rennen am Nürburgring zu hören. Wenn Sie also einen Moderator oder Streckensprecher für Ihre Oldtimer-Rallye oder Ihr Oldtimer-Treffen suchen, dann sind Sie bei Tom definitiv richtig!