Rennsport-Geschichten

12. Mai 1957 – das Ende der Mille Miglia

Die Mille Miglia war Straßenrennen und Volksfest. Denn Millionen von Zuschauern säumten die 1.600 Kilometer lange Strecke, um die Rennwagen zu bestaunen. In den 1950er-Jahren wurden die Rennwagen immer schneller. Das führte am 12. Mai 1957 unweigerlich zur Katastrophe.

Praktisch zeitgleich mit dem Auto entstanden der Motorsport und Faszination des Publikums für sportliche Betätigung. Gordon Bennett machte sich dies schon Anfang des 20. Jahrhunderts zu nutze. Um Zeitungen zu verkaufen, organisierte der Zeitungsverleger zunächst als Rennen ausgetragene Ballonfahrten und dann Autorennen. Damit schuf Wettbewerbe deren Ergebnisse seine Zeitungen in die Welt trugen. Das funktionierte hervorragend. Bis heute wieder viel Geld gezahlt, um mit sich mit Motorsport-Ereignissen Aufmerksamkeit zu sichern. Warum sonst fährt die Formel 1 heute beispielsweise in Dubai, Bahrein oder Baku?

Auch die heute legendäre Mille Miglia entstand als Werbemittel für den Start- und Ziel-Ort Brescia. Im Kampf um Beachtung wählten die Erfinder des Rennens für ihre Wettfahrt eine Distanz von 1.000 englischen Meilen. Gleichzeitig entschieden sie sich gegen einen klassischen mehrfach zu durchfahrenden Rundkurs. Stattdessen entschieden sie sich für eine Strecke von Brescia nach Rom und zurück. Damit führte das Rennen ausschließlich über öffentliche Landstraßen und beeindruckt bis heute.

Ferrari und die Mille Miglia sind eine Einheit, wie dieses Streckenfoto zeigt.
Ferrari und die Mille Miglia sind eine Einheit, wie dieses Streckenfoto zeigt. Bei der Erstausgabe des Rennens 1927 war vermutlich auch diese Brücke nicht asphaltiert. Foto: Ferrari)

Denn die Strecke war beim Debüt im März 1927 noch weitestgehend unbefestigt. Das machte das Rennen zu einer staubigen Angelegenheit und großen Herausforderung für alle Teilnehmer. Bei der Erstausgabe des Rennens siegte ein Sportwagen der Officine Meccaniche. Sein Durchschnittstempo lag bei 77 Kilometern pro Stunde. Doch innerhalb von nur neun Jahren stieg das Durchschnittstempo des Siegers bereits auf mehr als 120 Kilometer pro Stunde an.

Schon 1938 schlägt das Schicksal zu!

Mit dem Tempo stieg das Risiko. 1938 kam es bei der Durchfahrt von Bologna zu einem schweren Unfall. Beim Versuch eine Straßenbahn zu überholen, verlor ein Rennfahrer die Kontrolle über seinen Rennwagen. Sein Lancia Aprilia raste in eine Zuschauergruppe. Zehn Zuschauer, darunter sieben Kinder verloren ihr Leben. Italiens Diktator Benito Mussolini verbot das Rennen sofort, weshalb 1939 keine Mille Miglia stattfand.

BMW 328 Touring Coupé „Superleggera“
BMW 328 Touring Coupé „Superleggera“ – Gewinner der Mille Miglia 1940 (Foto: Karla Schwede)

Doch bereits ein Jahr später rollen die Räder wieder. Statt zwischen Brescia und Rom sind die Rennwagen 1940 jedoch nur auf einem Rundkurs unterwegs, der um den Startort Brescia herumführt. Diese Spezialausgabe gewinnen Huschke von Hanstein und Walter Bäumler im wunderschönen BMW 328 Touring-Coupé. Die Ausweitung des Zweiten Weltkriegs unterbricht auch die Mille Miglia für sieben Jahre. Erst als die Waffen ruhen, kommt es 1947 zum Neustart.

Die Autos werden immer schneller …

Wobei die Mille Miglia wieder auf ihre traditionelle Strecke zurückkehrt. Denn wie vor dem Zweiten Weltkrieg starten die Rennwagen in Brescia, um über Rom an den Ausgangsort zurückzukehren. Und wie vor dem Krieg zieht die Mille Miglia entlang der ganzen Strecke das Publikum in den Bann. Weshalb die Rennwagen durch dicht gedrängte Zuschauermassen rasen. Schon 1950 stellen sich 378 Tourenwagen der Herausforderung der Strecke.

Fünf Jahre später gehen schon deutlich mehr als 500 Fahrzeuge auf die Reise. Bereits seit 1954 dürfen auch Sportwagen an der Mille Miglia teilnehmen, um das Interesse der Zuschauer weiter anzuheizen. Mit den Sportwagen steigt das Tempo weiter an. Denn die Werkswagen von Mercedes-Benz oder Ferrari sind auf den Landstraßen teilweise mit einem Tempo von mehr als 300 Kilometern pro Stunde unterwegs. Das facht Diskussionen über die Sicherheit von Teilnehmern und Zuschauern an.

Die Werksteams von Mercedes-Benz, Jaguar und Aston Martin verzichten ab 1956 auf eine Teilnahme. Während des Rennens 1956 kommt es zu drei tödlichen Unfällen. Das verstärkt besonders außerhalb Italiens die Kritik an der Mille Miglia. Trotzdem zählt das Rennen weiter zur Sportwagen-Weltmeisterschaft. Daher schicken Ferrari und Maserati auch 1957 ihre hochgerüstete Werkswagen auf die Strecke. Denn für die italienischen Teams ist ein Verzicht auf das Heimspiel undenkbar.

Am 12. Mai 1957 kommt es zur Katastrophe

Die Scuderia Ferrari schickt 1957 gleich fünf Werkswagen ins Rennen. Speerspitze des Teams von Enzo Ferrari sind die nagelneuen Ferrari 335 Sport. Einen dieser V12-Boliden steuert Peter Collins, der das Rennen lange anführt. Im zweiten 335 Sport sitzt Alfonso de Portago am Lenkrad. Der spanische Adelige war ein Allroundsportler. De Portago war Jockey, spielte Polo und nahm an Bobfahrer an den Olympischen Winterspielen teil. Seit 1953 trat der Spanier regelmäßig bei Autorennen an.

Ein Ferrari 335 S Spider Scaglietti, wie ihn 1957 auch Alfonso de Portago lenkte.
Ein Ferrari 335 S Spider Scaglietti, wie ihn 1957 auch Alfonso de Portago lenkte. (Foto: Ferrari)

Beim letzten Tankstopp in Bolonga liegt de Portago zusammen mit seinem amerikanischen Beifahrer Edmund Nelson auf dem fünften Platz. Die Mechaniker entdecken, dass wegen eines verbogenen Achslenkers das linke Vorderrad an der Karosserie schleift. Trotzdem verzichtet de Portago auf einen Reifenwechsel, den die Mechaniker anbieten. Der Spanier will auf der verbleibenden Strecke noch einen Angriff auf Olivier Gendebien im schwächeren Ferrari 250 GT SWB starten.

Kurz vor Guidizzolo touchiert de Portago ausgerechnet mit dem linken Vorderrad einen Kilometerstein. Der Spanier verliert die Kontrolle über den Ferrari 335 Sport. Der Rennwagen kommt ins Schleudern, prallt zunächst gegen einen Mast der Telegraphenleitung und fliegt dann in eine Zuschauergruppe. Dabei verliert die Mille Miglia Endgültig ihre Unschuld. Denn neben Alfonso de Portago und seinen Beifahrer Edmund Nelson sterben zehn Zuschauer, darunter fünf Kinder.

Der Unfall ist das Ende der Mille Miglia

Denn nach dem Unfall sind praktisch alle gegen das Rennen. Der Vatikan und die Medien greifen das Thema auf und verurteilen die Jagd nach Geschwindigkeit unter diesen Bedingungen. Auch die Staatsanwaltschaft untersucht den Unfall. Für sie verdichtet sich der Verdacht, dass Ferrari aus Zeitgründen beim letzten Stopp auf einen Reifenwechsel verzichtete und damit den Unfall herbeiführte.

Enzo Ferrari (2. von rechts) Ende der 1940er/Anfang der 1950er-Jahre in seiner Motorenabteilung.
Enzo Ferrari (2. von rechts) Ende der 1940er/Anfang der 1950er-Jahre in seiner Motorenabteilung. (Foto: Ferrari)

Es kommt zu einer Anklage gegen Ferrari und den Reifenhersteller Englebert. Enzo Ferrari muss nach der Anklage seinen Pass abgeben. Aus Verärgerung über diese in seinen Augen ungerechtfertigte Maßnahme verzichtet der Commendatore bis zum Lebensende darauf, einen neuen Pass zu beantragen – sagt die Legende. Der Prozess zieht sich drei Jahre lang hin. Die Überraschung ist groß, das die Gerichte am Ende alle Angeklagten freisprechen.

Heute ist die Mille Miglia eine Oldtimer-Ausfahrt

Nach dem 12. Mai 1957 ist an eine Fortsetzung der Mille Miglia in der klassischen Form nicht zu denken. Bis 1961 findet die Fahrt als Rallye statt. Nur noch auf kurzen abgesperrten Teilstrecken erfolgt eine Zeitnahme. Doch der Schock von 1957 sitzt zu tief. Das Interesse des Publikums und der Teilnehmer sinkt. Ab 1962 ruhen die Motoren. Doch 1977 feiert die Veranstaltung mit der „Mille Miglia Storica“ im historischen Motorsport ihre Wiederauferstehung. Doch auch wenn die moderne Mille Miglia reizvoll ist, an die Verrücktheit der echten Mille Miglia kommt sie nicht heran.


Infos zum Titelbild dieses Beitrags:
Ferrari und die Mille Miglia sind eine Einheit, wie dieses Streckenfoto zeigt. Bei der Erstausgabe des Rennens 1927 war vermutlich auch diese Brücke nicht asphaltiert.

Foto: Ferrari

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