Porsche meldet gerade, dass Timo Bernhard mit dem Porsche 919 Evo die Nordschleife des Nürburgrings in 5:19,55 Minuten umrundet hat. Die Stuttgarter feiern das als neuen Rundenrekord. Und die Zeit beeindruckt tatsächlich. Doch trotzdem mag ich in die Euphorie rund um diese Rundenzeit nicht einstimmen.
Die Nürburgring-Nordschleife ist ein Mythos. Der Streckenrekord des unvergessenen Stefan Bellof ist ein Monument. Der Gießener umrundete 1983 den damals 20,835 Kilometer langen Kurs im Training zum 1.000-Kilometer-Rennen in 6:11,13 Minuten. Damit waren Bellof und sein Porsche 956 bisher die einzige Paarung, die die Nordschleife mit einem Schnitt von mehr als 200 Kilometern pro Stunde umrundeten.
1983 war am Nürburgring ein Übergangsjahr!
Bis 1982 fanden die großen Rennen in der Eifel auf der 22,8 Kilometer langen Kombination aus Nordschleife und der sogenannten Betonschleife statt. Bei der Betonschleife handelte es sich um zwei Geraden und einer Kehre, die die Starter an Start und Ziel vorbeiführten. An ihrer Stelle befindet sich heute die Boxenanlage der Grand-Prix-Strecke, die dort 1983/84 entstand.
Um während dieser Bauarbeiten trotzdem die Nordschleife nutzen zu können, entstand die zweite Boxenanlage vor der heutigen T13-Tribüne. Zudem glätteten die Verantwortlichen die Kurzanbindung, die die Autos nach der Hohenrain-Schikane zum Hatzenbach vorbei an der T13 zurückführt. Dadurch entstand die Streckenvariante, die 1983 mit der Formel 2, der Gruppe C und den Rennwagen der Tourenwagen Europameisterschaft Bestandteil des internationalen Motorsports wurde.
Heute kommt diese Strecke regelmäßig bei Breitensportveranstaltungen wie der RCN oder der RCN-Gleichmäßigkeitsprüfung zum Einsatz. Inzwischen ist sie 20.793 Meter lang. Die Umbauten der letzten Jahre blieben nicht ohne Spuren. Sie raubten der Nordschleife – ausgerechnet – 42 Meter. Das Wort „Breitensport“ sagt übrigens nur wenig über den Speed aus. Denn auch in der RCN geht es durchaus richtig vorwärts.
Schon 2009 war Jürgen Alzen im Porsche 911 Turbo 6:58 Minuten schnell. Das entspricht einem Schnitt von 179,1 Kilometern pro Stunde. Doch seither achten die Verantwortlichen darauf, dass kein Fahrzeug unter sieben Minuten fahren kann. Um das zu erreichen, passen sie von Zeit zu Zeit das Reglement an. Denn Rennwagenbauer streben immer nach dem Maximum. Die Regelhüter bremsen sie im Gegenzeug ein. Motorsportler kennen diesen Kreislauf der Dinge.
1983 war Einbremsen kein Thema!
Die Sportwagen der Gruppe C waren 1983 erst in ihrem zweiten Jahr. Beim 1.000-Kilometer-Rennen auf der Nordschleife zeigte Stefan Bellof, wie schnell ein Gruppe-C-Bolide sein kann. Nach den 6:11,13 Minuten im Training setzte Bellof mit 6:25,91 Minuten auch im Rennen den Rundenrekord. Schneller war bei einem Rennen auf der Nordschleife seitdem niemand mehr unterwegs.
Die Gruppe-C-Boliden waren damals übrigens nicht die einzigen richtig schnellen Rennwagen, die auf der Nordschleife rannten. Der im Rennen von Bellof aufgestellte Rundenrekord lag „nur“ drei Sekunden unter der Bestzeit, die vier Wochen zuvor Christian Danner in der Formel 2 drehte. Der Münchner war im Eifelrennen der Formel 2 mit 6:28,03 Minuten ebenfalls richtig schnell. Im Training stellte Danner seinen March 832 sogar mit 6:26.19 Minuten auf den ersten Startplatz.
Ab 1984 fanden die Rennen der internationalen Serien auf der Grand-Prix-Strecke statt. Trotzdem bewegt die Szene, wie schnell ein modernes Auto auf der Nordschleife wäre. Zudem befeuert auch die Industrie regelmäßig das Thema. Denn sie verkündet regelmäßig neue „Bestzeiten“. Wobei ich schon vor zwei Jahren schrieb, dass das nur Marketing ist. Damit (fast) jeder einen „Rekord“ vermelden kann, definieren die Marketingabteilungen willkürlich jede Menge „Klassen“.
Mit Motorsport hat das nichts zu tun!
Und so verkündet der Eine, er habe den schnellsten SUV. Der Nächste spricht vom „Rekord“ eines Autos in einer bestimmten Preisklasse. Das ist vollkommen willkürlich. Die Sucht nach Rekorden macht übrigens auch vor der Rennsport-Szene nicht halt. Denn als ich vor zwei Jahren schrieb, dass Bellof für mich der einzige Rekordhalter ist, meldete sich James Glickenhaus. Herr Glickenhaus war sich sicher, dass sein SCG 003 den Rekord knacken könne.
Wer weiß, vielleicht findet sich tatsächlich eine Gelegenheit, diese These in der RCN zu überprüfen. Denn Rekorde auf einer Rennstrecke gibt es meiner Meinung nach nur bei offiziellen Rennen. Nur dort sorgen Regelwerke für – eine gewisse – Vergleichbarkeit der Rennwagen. Und genau damit fängt mein Problem mit der neuen Bestzeit an. Denn der Porsche 919 unterscheidet sich in wesentlichen Punkten vom bisher in der Sportwagen-Weltmeisterschaft eingesetzten Rennwagen.
Um Gewicht zu sparen, fehlt der „Evolutionsvariante“ die im Rennbetrieb vorgeschriebene Klimaanlage. Zudem ist auch kein Scheibenwischer an Bord. Sicherlich sind das alles Kleinigkeiten. Doch die sparen Gewicht. Und das spielt bei der Performance eines Autos eine nicht zu unterschätzende Rolle. Und am Ende sorgen diese Veränderungen dafür, dass sich der Bolide deutlich vom Rennwagen unterscheidet.
Zumal sich das Spiel der Veränderungen beim Antrieb fortsetzt. Denn der V4-Turbomotor im Heck des Boliden darf bei den Rekordfahrten Treibstoff konsumieren, wie er möchte. In der Sportwagen-WM ist die Energiemenge, die das Fahrzeug verbrauchen darf, streng limitiert. Und auch der Elektroantrieb an der Vorderachse kennt anders als in der Sportwagen-Weltmeisterschaft im 919 Evo keine Grenzen. Deshalb ist mein Urteil zur Rundenzeit von Porsche einfach: Toll, was geht, aber den Rundenrekord hält Stefan Bellof!
Harry
29. Juni 2018Die Zeit ist toll aber das ist doch überhaupt nicht mit den Gruppe C Zeiten vergleichbar. Heute gibt es 4WD mit 1000+ PS und Traktionskontrolle – damals hatte Bellof 600 PS und Heckantrieb, die Traktionskontrolle war sein Gasfuß, der Sensor sein Popometer. Dagegen ist das heute doch Playstation-Fahren.
Bordsteinschrauber
29. Juni 2018Immer dieses Gemotze, ich finde es toll, das die bei Porsche zeigen, was geht und das der Fahrer den Mut zu dieser Runde hat. Denn die Eier zu dem Ding muss man erstmal haben.
Tom Schwede
30. Juni 2018Die Leistung ist großartig. Wobei das Video den Eindruck vermittelt, dass die Fahrt nicht überall „voll“ war. Und das technisch Machbare fasziniert immer. Aber das ist gar nicht das Problem mit dieser Runde. Ich bin Motorsportler. Und zum Motorsport gehört für mich „Wettbewerb“. Voraussetzung für „Wettbewerb“ sind Regeln, die für die notwendige „Vergleichbarkeit“ sorgen. Das fehlt hier alles!
Porsche hätte die Bellof-Zeit wahrscheinlich sogar mit einem „legalen“ LMP1 geknackt. Das wäre schon mal ein guter Schritt gewesen, aber selbst dann wäre das nur die halbe Miete, weil wir bei solchen Solo-Fahrten ja nicht erfahren, was andere im gleichen Moment leisten können.