Heute wird Ferrari oft auf die Formel 1 reduziert, aber bis in die frühen 1970er-Jahre kämpfte Ferrari nicht nur in der Königsklasse um Siege und Meisterschaften. Auch bei den Sportprototypen gehörte Ferrari zum Establishment. Neunmal siegte Ferrari bei den 24 Stunden von Le Mans. Von 1960 bis 1965 saßen die Sieger an der Sarthe gleich sechsmal in Folge am Steuer eines Ferrari. Doch in der zweiten Hälfte der 1960er-Jahre drängten Ford und Porsche die Italiener im Sportwagenbereich zunehmend in eine Statistenrolle.
Als Porsche mit dem 917 einen – zumindest sportrechtlich – straßentauglichen Sportwagen vorstellte, konterte Ferrari mit dem Ferrari 512S. Im Spielfilm Le Mans setzten Regisseur Lee H. Katzin und Hauptdarsteller Steve McQueen auch diesen wunderschönen Rennwagen ein Denkmal. Doch wie im Film hatte der 512 auch im richtigen Rennsport auf der Strecke meist das Nachsehen gegen die Boliden aus Zuffenhausen.
Ferrari entwickelte daher schon im Winter 1970/71 für den Einsatz in Le Mans und in der Sportwagen-Weltmeisterschaft den Ferrari 312PB. Ihn puschte der flache 180°-V12 aus dem Formel 1 Rennwagen des Hauses. Doch auch wusste Ferrari, dass der heißeste Sportwagen-Sport jener Zeit auf der anderen Seite des Atlantiks stattfand. Die CanAm-Serie lockte Fahrer, Teams und Hersteller mit stattlichen Preisgeldtöpfen. Daher entstanden in Maranello schon 1967 auf Basis des 330P4 (2 Exemplare) beziehungsweise dessen Kundensport-Variante 412P (ein Exemplar) drei Ferrari 412 CanAm getaufte Rennwagen für die CanAm-Serie.
Der Ferrari 712 Can Am entsteht!
Doch gegen die fetten Chevy V8 Motoren mit bis zu sieben Litern Hubraum Standard war selbst mit dem auf 4,4 Liter aufgebohrten V12 von Ferrari kein Staat zu bestellen. Für die Saison 1968 bohrte Ferrari den neuen V12 aus dem Ferrari 512 auf 6,2 Liter auf. 620 PS standen damit zur Verfügung. Zudem entstand mit dem Typ 612 Can Am ein spezielles Gruppe-7-Chassis, das die Scuderia ihren Werksfahrer Chris Amon anvertraute. Doch trotz dieses hohen Engagements fuhr Ferrari in den Jahren 1968/69 in der CanAm-Serie nur dreimal auf das Podest. Bestes Ergebnis war ein zweiter Platz im kanadischen in Edmonton.
Nach einer Auszeit 1970 kehrte Ferrari offiziell erst 1971 nach Nordamerika zurück. Wobei in der Zwischenzeit einige private Ferrari 512 M in der Can Am-Serie antraten. Zu den Einsatzteams gehörte auch North American Racing Team (NART) von Luigi Chinetti, das immer eng mit dem Werk verbunden war. Auch Herbert Müller trat mit seinem 512 in der Can Am an. Für den Werkseinsatz 1971 entstand auf Basis des Sportwagens 512M mit der Chassis-Nummer #1010 das Einzelstück Ferrari 712 Can Am. Das war übrigens jenes Chassis, mit dem Jacky Ickx und Ignazio Giunti 1970 die Kyalami 9 Hours gewannen. Für Sentimentalitäten blieb damals offenbar keine Zeit!
Herzstück des 712 war eine auf 6860,33 Kubikzentimeter vergrößerte Version des 60° V12-Motors. Damit brachten die Ingenieure das Triebwerk an den Rand des technisch machbaren. Denn der V12 mit einem Zylinderwinkel von 60 Grad feierte im 512 mit einem Hubraum von 4.993,53 Kubikzentimetern seine Premiere. Pro Zylinderbank treiben zwei oben liegende Nockenwellen vier Ventile pro Zylinder an. Zwei Zündkerzen pro Zylinder zünden das von einer Lucus-Einspritzanlage zugeführte Gemisch. Dem aufgebohrten Triebwerk schreibt Ferrari heute eine Leistung von 680 PS (500 kW) bei 7.000 Umdrehungen pro Minute zu.
Renndebüt in der Interserie als Vorbereitung für Amerika
Sein Debüt feierte der Ferrari 712 Can Am im Mai 1971 beim Rennen der Interserie in Imola standesgemäß mit einem Sieg. Arturo Merzario gewann das Rennen im Königlichen Park. Anschließend ging der Rennwagen in die USA, wo NART die Einsätze übernahm. Als Piloten verpflichtete Ferrari den späteren Formel-1-Weltmeister Mario Andretti. Der Italo-Amerikaner fuhr beim US-Debüt mit dem 712 Can Am in Watkins Glen als Vierter ins Ziel. Ferrari zog sich zunächst zurück, um den Prototypen zu überarbeiten. Doch als Ferrari ein Jahr später wieder in den USA antrat, dominierte dort bereits der Porsche 917/30 die Szene.
Zudem schickte Ferrari 1972 mit Jean-Pierre Jarier einen Nachwuchspiloten im Ferrari 712 Can Am in die Can Am-Serie. In Watkins Glen wurde der Franzose Zehnter, in Road America fuhr Jarier auf Platz vier. Dann zog Ferrari den Rennwagen zunächst wieder zurück, trat 1973 bei keinem Rennen der CanAm-Serie an. Erst 1974 meldete Ferrari den 712 für ein Rennen in Watkins Glen. Das Cockpit vertrauten die Italiener dabei dem Sportwagen-Spezialisten Brian Redman an. Der Brite fuhr im Qualifikationsrennen auf den zweiten Platz. Im Hauptrennen fiel Redman mit einem Bruch der Hinterradaufhängung bereits vor Halbzeit des Rennens aus.
Danach verlieren sich die Spuren des Rennwagens. Ferrari und NART setzten den Ferrari 712 CanAm nicht nochmals ein. Auch Einsätze von Privatfahrern sind nicht überliefert. Wobei es natürlich möglich ist, dass der Rennwagen zeitweise wieder als 512 M irgendwo lief. Nicht in allen alten Starterlisten sind die Chassisnummern enthalten. Und so war ich erstaunt, dass der Ferrari 712 Can Am plötzlich beim AvD Oldtimer Grand Prix 2005 am Nürburgring auf die Strecke ging. Dort hatte ich Gelegenheit, den Sportwagen zu fotografieren. Denn trotz des typischen Eifelwetters führte sein Besitzer den Sportwagen auf der Grand Prix-Strecke des Nürburgrings aus.
Einsätze des Ferrari 712 CanAm im Überblick
- 300-km-Rennen von Imola – 2. Mai 1971
Erster Wertungslauf zur Interserie 1971, Einsatz der Spa Ferrari SEFAC mit Arturo Merzario im Cockpit. Merzario gewann das Rennen.
- Six-Hours and The Can-Am, The Glen – 25. Juli 1971 in Watkins Glen, USA
Vierter Wertungslauf der Can-Am 1971, Einsatz der Spa Ferrari SEFAC mit Mario Andretti als Piloten. Andretti sichert sich im Training den fünften Startplatz (1:07,660 Minuten). Die Pole Position sichert sich Jackie Stewart (1:05,110 Minuten) mit einem Lola T260. Im Rennen fährt Andretti auf Platz vier.
- Six-Hours and The Can-Am, The Glen – 23. Juli 1972 in Watkins Glen, USA
Dritter Wertungslauf der Can-Am 1972, Einsatz des North American Racing Team. Das Cockpit übernimmt Jean-Pierre Jarier. Der junge Franzose darf starten, obwohl ihm in Training keine gezeitete Runde gelingt. Das Regenrennen beendet Jarier auf Platz zehn.
- Road America Can-Am – 27. August 1972 in Road America, USA
Fünfter Wertungslauf der Can-Am 1972, Einsatz des North American Racing Team. Erneut sitzt Jean-Pierre Jarier im Rennwagen, der im Training auf Platz zehn (2:13,860 Minuten – Pole-Zeit 2:04,562, Denny Hulme im McLaren M20 Chevrolet) fährt. Das Rennen beendet der Franzose auf Platz vier. Allerdings wird der Ferrari vom siegreichen Porsche 917/10 TC, den George Follmer steuert, zweimal überrundet.
- Glen Five Star, Six-Hours & The Can-Am – 14. Juli 1971 in Watkins Glen, USA
Dritter Wertungslauf der Can-Am 1974 – Einsatzteam ist erneut das North American Racing Team, das das Cockpit Brian Redman anvertraut. Wie zwei Jahre zuvor Jean-Pierre Jarier gelingt es auch dem Sportwagen-Experten Redman im Training nicht, eine vollständige Runde zu drehen. Trotzdem darf Redman starten, fällt im Rennen jedoch aus.