Welche Continuation Cars und Continuation Models gibt es?

Lotus 66 – Neukonstruktion oder Restomod?

Unwichtig, denn der Lotus 66 fasziniert!

Spätestens mit dem Start der CanAm Serie entwickelte sich Nordamerika zum gelobten Land der Sportwagen-Szene. Das lockte auch die europäischen Rennwagen-Hersteller. Lotus-Gründer Colin Chapman wollte 1970 mit dem Lotus 66 ins Geschehen eingreifen. Doch der neue Rennwagen kam über das Planungsstadium nie hinaus. Doch jetzt, mit 53 Jahren „Verspätung“, baut Lotus vom Typ Lotus 66 zehn Exemplare. Die Briten drehen damit die Schraube „Recreation“ eine Umdrehung weiter. Wir fragen uns, warum es 1970 nicht zum Einsatz in der CanAm-Serie kam.

Lotus 66
Zehn Exemplare des Lotus 66 will Lotus bauen. Damit würdigt der Autobauer die Anzahl der Rennen, die der Bolide 1970 hätte bestreiten sollen. (Foto: Lotus Cars)

1966 etablierte sich in Nordamerika die CanAm Serie. Sie ging auf den SCCA zurück und lockte mit bis dahin nicht gekannten Preisgeldtöpfen. Rennwagen-Schmieden wie Lola und McLaren verdienten mit ihren Sportwagen fortan gutes Geld. Denn die Erfolge der Werkspiloten veranlassten Privatfahrer dazu, die gleichen Rennwagen zu ordern. Lotus blieb außenvor. Denn in der CanAm-Serie gaben Boliden mit großvolumigen amerikanischen V8-Motoren den Ton an. Die Rennwagen von Lotus standen mehr als alle andern für Leichtbau. Ihre oft zerbrechlich wirkenden Konstruktionen wirkten wie ein rollender Widerspruch zu den „fetten“ US-Motoren. Einige Unverfrorene rüsteten ihren Lotus 19 beziehungsweise Lotus 19B trotzdem mit den passenden Motoren aus. Doch die Konstruktion des Typs 19 stammte vom Anfang des Jahrzehnts. Das Unterfangen war zum Scheitern verurteilt.

Lotus spielte in der CanAm keine Rolle!

Auch der Lotus 23 war nicht geeignet, um mit großen V8-Motoren erfolgreich zu rennen. Lotus-Boss Colin Chapman stellte daher schon 1964 den Lotus 30 vor. Denn schon vor der Gründung der CanAm waren die Rennen in Nordamerika wegen des in starken US-$ gezahlten Preisgelds interessant. Doch selbst mit einem Ausnahmekönner wie Jim Clark im Cockpit reichte es für den Lotus 30 nur zu Achtungserfolgen. Daran änderte sich auch nichts, als Chapman den Typ 30 zum Lotus 40 weiterentwickelte. Pilot Richie Ginther bezeichnete den Lotus 40 einmal als Lotus 30 mit zehn weiteren Fehlern. Trotzdem baute und verkaufte Lotus 36 Exemplare (23 Lotus 30, zehn Lotus 30 Serie 2 und drei Lotus 40) seines Sportwagens. Einer dieser Lotus war kürzlich sogar bei den Classic Days in Düsseldorf zu Gast. Doch als ab 1966 mit der CanAm-Serie die Preisgeld-Töpfe der Veranstalter nochmal deutlich zulegten, stand Lotus ohne passendes Fahrzeug dar und überlies den Markt notgedrungen den Konkurrenten.

Lotus Porsche 23b beim AvD Oldtimer-Grand-Prix 2022
Lotus Porsche 23b mit ungewöhnlichen Motor von Porsche. Auch das war ein Versuch, um bei den Rennen in Nordamerika mitzuhalten. (Foto: Tom Schwede)

Bei dieser Entscheidung spielte auch eine Rolle, dass Lotus mit dem Europa gerade an einem neuen Serienmodell arbeitete. Zudem änderte die CSI in der Formel 1, dem wichtigsten Betätigungsfeld des Rennstalls Lotus zur Saison 1966 ebenfalls die Regeln. In der Königsklasse durften statt der zuvor genutzten 1,5 Liter großen Triebwerke nun doppelt so große Motoren zum Einsatz kommen. Doch die dafür notwendigen Motoren gab es zunächst praktisch nicht. Nur Ferrari und Brabham hatten nach der Regeländerung von Anfang an Motoren, die das neue Hubraumlimit ausschöpften. Wobei der Motor bei Brabham auf dem Buick 215 basierte. Der V12 von Maserati, den Cooper einsetzte, stammte von einem 2,5 Liter-Triebwerk ab, das bereits 1957 Premiere feierte. Den bisher beliebten Motorlieferanten Coventry Climax und B.R.M. fehlte zunächst das passende Triebwerk. So traten viele Formel 1-Teams 1966 nur mit zwei oder zweieinhalb Litern Hubraum an.

Der Verlust von Jim Clark traf Lotus schwer – auch wenn Graham Hill die Kohlen aus dem Feuer holte!

Lotus startete mit einem zwei Liter großen V8 von Coventry Climax in die Saison. Später wechselte das Team zum desaströsen H16 von B.R.M. Wobei Jim Clark mit dem Lotus 43 B.R.M. überraschend den Großen Preis der USA in Watkins Glen gewann. Trotzdem war 1966 für Lotus eine Katastrophe. Im Vorjahr gewann das Team mit Jim Clark noch den Fahrertitel und sicherte sich selbst die Trophäe der Konstrukteure. Nun sprangen nur die Plätze sechs in der Fahrer-Weltmeisterschaft und fünf in der Konstrukteurswertung heraus. Colin Chapman überzeugte schließlich Ford davon, die Entwicklung eines V8 bei Cosworth zu bezahlen. Damit gewann Lotus ab 1967 wieder regelmäßig Rennen. Doch 1968 verlor das Team seinen Fixstern Jim Clark beim Unfall in Hockenheim. Immerhin holte Graham Hill die Fahrerkrone zurück nach Hethel. Doch inzwischen stand der Ford Cosworth auch anderen Teams zur Verfügung.

Seitenansicht des Lotus 66
Der Lotus 66 sollte 1969 oder wohl eher 1970 in der CanAM-Serie antreten. Doch dazu kam es nie. Die Weiterentwicklung zeigt jetzt beeindruckend, wie der Lotus 66 hätte aussehen sollen. Foto: Lotus Cars

Lotus geriet ins Hintertreffen. 1969 liefen Matra und Brabham in der Königsklasse Lotus den Rang ab. Dazu verzettelte sich Lotus mit der Vielzahl seiner Projekte. In Indianapolis trat Lotus schon 1968 mit einer Gasturbine an. Ein Jahr später brachte das Team mit dem Lotus 63 einen Formel 1 mit Allradantrieb an den Start. Daneben bot Lotus Rennwagen für die Formel 2, die Formel 3 und die Formel Ford an. Dazu entstanden Werkswagen für die Formel 1 sowie das Indianapolis 500. 1970 verzichtete Lotus auf die Monoposto-Einsätze in Indianapolis, bot dafür aber Rennwagen für die Formel 5000 an. Trotzdem wollte Colin Chapman parallel dazu zu den Sportwagen zurückkehren. Lotus-Designer Geoff Ferris bekam schon 1969 den Auftrag, mit dem Lotus 66 ein Auto für die CanAm Serie zu entwerfen.

Das Projekt Lotus 66 wurde nicht realisiert – bis jetzt!

Letztlich blieb es 1969 und 1970 bei Plänen. Lotus war 1969 in der Formel 1 zeitweise nur die dritte Kraft hinter Matra und Brabham. 1970 sollte mit aller Macht der Titel her. Daher stellte Colin Chapman das Projekt Lotus 66 schließlich ein. Nach der Einstellung des Projekts war der Lotus 66 fast fünf Jahrzehnte nur ein Thema für Nerds. Umso größer die Überraschung als Lotus auf der Monterey Car Week in Kalifornien, USA jetzt einen weiterentwickelten Lotus 66 enthüllte. Dazu gaben die Briten bekannt, dass die Firma Lotus Advanced Performance zehn Exemplare dieses CanAm-Sportwagens bauen wird. Wer sich für einen dieser Rennwagen interessiert, der muss dafür allerdings mehr als eine Million britische Pfund für das Vergnügen übrighaben.

Lotus 66 in Laguna Seca
Lotus verspricht, dass der Lotus 66 Fahrleistungen auf dem Niveau eines Moderen GT-Boliden bietet. Das wäre beeindruckend. Foto: Lotus Cars

Dafür verspricht Lotus Fahrleistungen, die auf dem Niveau eines modernen GT3-Rennwagens liegen. Denn die Briten kombinieren die alten Pläne mit moderner Renntechnologie und Komponenten von heute. Grundlage der Entwicklung des neuen Lotus 66 waren die Originaldokumente, die Clive Chapman, Geschäftsführer von Classic Team Lotus und Sohn von Colin Chapman besitzt. Erhalten sind Konstruktionszeichnungen, die Geoff Ferris 1969 erstellte. Sie offenbaren, dass Ferris bei der Konstruktion des Lotus 66 auf einige Teile des Lotus 72 zurückgriff, der etwa zeitgleich entstand. Auf Grundlage der Pläne, die in den Maßstäben 1:4 und 1:10 vorlagen, entstand zunächst ein 3D-Modell des Rennwagens. Anschließend modifizierten die Ingenieure den Fahrerplatz, um ihren Kunden einen zeitgenössischen Rennkomfort zu bieten.

Weiterentwicklung im Dienste der Sicherheit!

Zudem bekam der moderne Lotus 66 einen innenliegenden Kraftstofftank, ein sequenzielles Getriebe und ein Antischlupfsystem. Die Karosserie des Rennwagens ist aus Kohlefaser. Auch die Luftführung optimierten die Entwickler, um das Fahrverhalten zu verbessern. Wobei schon das nie gebaute Original auf das Prinzip der Durchströmung setzte. Damit hätte Lotus 1970 in der CanAm-Serie das Level möglicherweise verschoben. Im Zuge der Neuauflage wandte Lotus mehr als 1.000 Stunden Arbeitszeit im Bereich Computational Fluid Dynamics (CFD) auf, um die Aerodynamik zu verbessern. Am Ende steht ein Rennwagen, der bei einem Tempo von 150 Meilen pro Stunde einen Abtrieb von über 800 Kilogramm erzeugt. Das ist wesentlich mehr, als das ursprüngliche Unterboden-Design hätte leisten können.

Motor im Lotus 66
1970 hätte Lotus wohl einen Motor von Ford eingesetzt. Jetzt entwickelten die Techniker einen eigenen V8. Foto: Lotus Cars

Den Vortrieb übernimmt ein V8-Saugmotor von Lotus. Er leistet 830 PS bei 8.800 Umdrehungen pro Minute. Das maximale Drehmoment von 746 Newtonmetern liegt bei 7.400 Umdrehungen pro Minute an. Für Verzögerung sorgt ein Renn-ABS-Bremssystem. Beim Navigieren hilft eine Motorsport-Servolenkung. Im Simulator erarbeiten die Techniker auf den Rennstrecken von Beispiel Laguna Seca, Silverstone, Fuji und Spa die Abstimmung des Boliden. Diese Weiterentwicklung macht es schwierig, den Lotus 66 zu beurteilen. Denn das, was Lotus jetzt anbietet, ist weder eine klare Neuauflage noch ein „Restomod“. Aber faszinierend ist der neue Lotus 66 auf jeden Fall!


Infos zum Titelbild dieses Beitrags:
Zehn Exemplare des Lotus 66 will Lotus bauen. Damit würdigt der Autobauer die Anzahl der Rennen, die der Bolide 1970 hätte bestreiten sollen.

Foto: Lotus Cars

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Als Kind der 1970er-Jahre hatte Tom das große Vergnügen, in einem ausgesprochen automobilen Umfeld aufzuwachsen. Das war der optimale Nährboden, um heute über Autos zu schreiben und regelmäßig am Mikrofon über Autos zu sprechen. Denn Tom Schwede moderiert seit 2010 bei großen Oldtimer- und Klassik-Veranstaltungen in Deutschland. So ist Tom unter anderem bei den Classic Days (früher Schloß Dyck, heute in Düsseldorf) oder dem 1.000 Kilometer-Rennen am Nürburgring zu hören. Wenn Sie also einen Moderator oder Streckensprecher für Ihre Oldtimer-Rallye oder Ihr Oldtimer-Treffen suchen, dann sind Sie bei Tom definitiv richtig!

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