Auto-Erinnerungen

Als die Keilform bei Autos in Mode war!

Alles Keil, oder was?

In den 1960er-Jahren änderte sich der Autogeschmack. Plötzlich war die Keilform bei Autos in Mode. Immer häufiger stellten die Designer Autos in Keilform auf die Räder. Was steckte hinter dieser Auto-Mode, deren Einflüsse das Automobil-Design bis in die frühen 1980er-Jahre prägte?

Beim Thema Kleinform bei Autos denken viele sofort an den Ferarri 512S Modulo von 1970.
Beim Thema Kleinform bei Autos denken viele sofort an den Ferarri 512S Modulo von 1970.

Automode ist immer auch ein Spiegel ihrer Zeit. Nach dem düsteren Krieg und der schwierigen Nachkriegszeit kam das Wirtschaftswunder. Mit ihm legten auch die Autos zu. Die Pontonkarosserien dieser Zeit glänzten mit abgerundeten, stark gewölbten Formen. Autos trugen Wohlstandsbauch – obwohl die Urform des Pontons einmal für glatte Seitenteile stand. Die rundlichen Formen der Autos passten perfekt in die Zeit, wo reichlich gedeckte Tische langsam der Standard wurden. Schon in den 1960er-Jahren wandelte sich der Geschmack. Denn moderne Alltagsautos trugen jetzt die moderne Trapezlinie zur Schau.

Die Keilform bei Autos war zunächst die Automode der Serie!

Doch die Karosserie-Designer drehten das Rad des Zeitgeistes schnell weiter. Denn für sie gilt traditionell, Mode kommt und Mode geht. Plötzlich trat die Keilform bei Autos ins Rampenlicht. Denn pfiffige Designer ersannen für ihre Karosserien eine aggressive Keilformen. Auch das verkörpert den Zeitgeist, brach die Menschheit in diesen Jahren mit der Reise zum Mond doch zu neuen Ufern auf. Parallel zum Wettlauf im All gehörte das Keil in der zweiten Hälfte der 1960er-Jahre bei allen wichtigen Automobil-Designern bald zum guten Ton.

Bereits 1966 trug der Maserati Ghibli ein keilförmiges Karosserie-Kleid. Der junge Designer Giorgio Giugiaro entwarf den Sportwagen als Angestellter der Carrozzeria Ghia und setzte damit den ersten Meilenstein. Nur ein Jahr später folgte Aston Martin der neuen Mode. Der Aston Martin DBS legte als Nachfolger des eher pummeligen Aston Martin DB6 dessen rundlichen Formen ab. Designer William Towns bezeichnete den Chevrolet Camaro als seine Inspiration. Auch das zeigt, wie sich die Keilform bei Autos schrittweise weiterentwickelte.

Alfa Romeo Montreal - Expo-Studie, 1967
Die in Montreal präsentierte Studie basierte auf der Giulia Sprint GT. Auch sie folgt der Idee des Keils.

Gleichwohl ist unverkennbar, dass Towns mit dem britische Sportwagen, der im Spielfilm „James Bond 007 – Im Geheimdienst Ihrer Majestät“ zum Einsatz kommt, auch die Idee der Keilform bei Autos verfolgte. Kurz darauf nahm Giuseppe „Nuccio“ Bertone die Idee des Keils auf. Im Atelier des Großmeisters des Automobildesigns gestaltete Marcello Gandini den Lamborghini Espada. Gandini wird in den kommenden Jahren zahlreiche scharfe Keile auf die Räder stellen. Schon 1967 gelang dem Designer mit der Studie Alfa Romeo Montreal dabei ein besonders famoser Entwurf.

Etwa zeitgleich entstand bei Pininfarina der Ferrari 365 GTB/4. Dessen offene Version, der 365 GTS/4 („Daytona Spider“) wirkte eineinhalb Jahrzehnte später in der TV-Serie Miami Vice immer noch modern. In der ersten Staffel TV-Serie kam kein Original zum Einsatz. Das lässt die 1980er-Jahre in der Rückschau zusammen mit den damals modernen Schulterpolstern als ein Jahrzehnt der Blender erscheinen. Doch so weit sind wir noch nicht. Bisher bewegen wir uns nur am Übergang der 1960er zu den 1970er-Jahren. Zu diesem Zeitpunkt steht die Keilform bei Autos noch am Anfang ihrer Karriere.

Es sind die Studien, die die Keilform bei Autos in ungeahnte Höhen treiben!

Der FIAT X1/9 (1972), der VW Scirocco (1974), das Audi Coupé B2 (1978) und der Citroën BX zeigen, dass die Keilform auch in die Großserie funktioniert. Wobei die französische Limousine von 1982 heute als Abschluss der Modewelle gilt, obwohl auch der Citroën XM von 1989 durchaus als Keil durchgeht. Auch an der Gestaltung des BX war übrigens Marcello Gandini beteiligt. Mit dem Lamborghini Countach (1974), dem Lancia Beta Montecarlo (1975), dem Lotus Esprit (1977) und dem BMW M1 (1978) folgen weitere Sportwagen der Idee. William Towns gestaltet zudem den einzigartigen Aston Martin Lagonda (1976) und greift dabei auch auf die Kleinform zurück.

Fiat X1/9 der ersten Baureihe von 1972-1978 (Foto: Fiat)
Fiat X1/9 der ersten Baureihe von 1972-1978 brachte die Keilform bei Autos in die Großserie (Foto: Fiat)

Parallel zu den Serienfahrzeugen treiben die Auto-Designer mit Studien und Prototypen die Idee der Keilform bei Autos auf die Spitze. Es fängt harmlos an. Giotto Bizzarrini entwarf bereits 1968 die Studie Bizzarrini Manta. Doch Bizzarrini geht das Geld aus und muss sein Unternehmen nur ein Jahr später schließen. Auch der VW Porsche Tapiro (1970) von Italdesign schafft es nicht in Serie, glänzt dafür aber ebenfalls mit einer aufregenden Keilform. Bis heute halten sich Stimmen, die halten die Entscheidung, den Tapiro nicht zu bauen, für eine Fehlentscheidung.

Mazda, Holden und Mercedes-Benz – plötzlich folgen alle der Keilform!

Bereits 1969 präsentierte die GM-Tochter Holden in Australien den Holden Hurricane. Im März 1970 folgte der Mercedes-Benz C111-II, der in Genf für Aufsehen sorgte. Zeitgleich mit dem Wankel-Sportwagen aus Stuttgart feierte in Genf auch der Ferrari 512 S Modulo von Pininfarina seine Messepremiere. Der Modulo gewann bisher mehr als 20 Designpreise und -Auszeichnungen und beeindruckt bis heute. Im Herbst des gleichen Jahres zeigte Bertone auf dem Turiner Autosalon mit dem Lancia Stratos Zero eine Studie für die Ewigkeit.

Auch beim Zero war Marcello Gandini Projektleiter. Was den Designer, der auch den wunderbaren BMW Garmisch (1970) einkleidete, zum absoluten Star unter den Keil-Designern macht. Der Name Stratos lebt später im Sportwagen Lancia Stratos HF (1971) weiter, technisch haben beide nichts gemeinsam. Auch stilistisch ist allenfalls die Keilform eine Verbindung zwischen Studie und Serienmodell. Zehn Jahre später bekommt der Stratos mit dem Lancia 037 einen späten keilförmigen Nachfolger.

BMW M1
Auch der BMW M1 gehört zu den Autos mit Keilform.

Schon 1970 präsentierte Toyo Kogyo mit dem Mazda RX-500 in Tokyo seine Interpretation der Keilform beim Auto. Acht Jahre später verleugnet auch der Mazda RX-7 die Keilform nicht. Schon 1972 zeigte Skoda auf der Motor Show in Brüssel die Studie Skoda 110 Super Sport. Doch das im Skoda-Zweigwerk von Kvasiny entstandene Einzelstück passte nicht in die Welt des realexistierenden Sozialismus. An eine Serienfertigung war nicht zu denken. Trotzdem (oder deswegen) wurde die Studie ein paar Jahre später im Horror-Streifen „Der Vampir aus dem Ferat“ ein Filmstar.

Die Keilform bei Autos bleibt mehr als ein Jahrzehnt irgendwie immer präsent!

In den USA entstand mit dem Bricklin SV-1 (1974) ein weiteres Serienmodell, das als Keil gilt. Auch Ford nutzte keilförmige Elemente bei der Weiterentwicklung seines Mustangs. In Europa scheiterte bei British Leyland zwar der Triumph SD2, doch der Rover SD1 stieg zum Serienmodell auf. Reliant und Otosan Otomobil Sanayii wollten mit dem Reliant FW11 und dem baugleichen Otosan Anadol mit einem Keil in die Mittelklasse vordringen. Doch ihr Projekt scheitert als Ford sich weigert, der britisch-türkischen Allianz Motoren zu liefern.

Immerhin reichte Designer Bertone die Gestaltung des Reliant/Otosan an Citroën weiter. Zuvor präsentierten Bertone und Volvo 1979 mit der Studie Volvo Tundra einen Ableger des Entwurfs. Zwei Jahre später dachte Bertone für Mazda die Idee im Mazda MX-81 Aria nochmals weiter. Doch inzwischen lockt die Keilform bei Autos kaum noch jemanden hinter dem Ofen her. Der 1980 präsentierte Talbot-Matra Murena läuft nach nur drei Jahren aus. Die Kunden meiden den Nachfolger des Matra-Simca Bagheera (1973) wie der Teufel das Weihwasser.

Die Idee der Keilform bei Autos hat sich überlebt. Denn die Automobil-Industrie strebt inzwischen danach, den cw-Wert ihrer Fahrzeuge zu minimieren. Das holt wieder Rundungen in das Design der Karosserien zurück. Als Trendsetter gilt ein 1981 von Audi präsentiertes Forschungsauto. Es kommt ein Jahr später als Audi 100 (C3) auf den Markt. Damit sieht die Keilform bei Autos praktisch sofort alt aus. Trotzdem fasziniert die Idee des Keils auch mehr als ein halbes Jahrhundert nach seinem Debüt irgendwie immer noch!

Auswahl von Autos mit Keilform:

1966 – Aller Anfang ist schwer …

  • Maserati Ghibli

1967 – Thema mit Variation

  • Aston Martin DBS
  • Alfa Romeo Montreal
  • Ferrari 365 GTB/4

1968 – Italien ist Keilland

  • Bizzarrini Manta (Studie)
  • Lamborghini Espada

1969 – das Keil aus Down-Under

1970 – das Jahr der Studien in Keilform

1971 – wenn die Serie auf die Studie folgt

1972 – Keil geht auch im Ostblock

1973 – Keil à la francaise

  • Matra-Simca Bagheera

1974 – Weltweite Keile

  • Bricklin SV-1
  • Hyundai Pony Coupe Concept
  • Lamborghini Urraco Bertone Bravo (Konzeptfahrzeug auf dem Turiner Autosalon)
  • Lamborghini Countach
  • Lotus Éclat (intern Lotus Typ 76 und Typ 84)
  • Lotus Elite II (intern Lotus Typ 75 und Typ 83)
  • Triumph SD2 (Prototyp)
  • VW Scirocco

1975 – Alles Serie, oder was?

  • Lancia Beta Montecarlo
  • Triumph TR7 – Spitzname »The Wedge« (Der Keil)

1976 – Luxuskeil

  • Aston Martin Lagonda
  • Lotus Esprit

1977 – Ein Keil für James Bond

1978 – Deutschland erwacht

  • Audi Coupé B2
  • BMW M1
  • Mazda RX-7

1979 – Schweden will auch … und bleibt beim Klotz

1980 – Ungeliebter Franzose

  • Talbot-Matra Murena
  • TVR Tasmin

1981 – Japan folgt

1982 – Mit langem Anlauf zur Serie

  • Citroën BX
  • Lancia 037

1989 – Spätstartern und Nachzügler

  • Citroën XM

Gut möglich, dass ich in dieser über die Keilform bei Autos ein Fahrzeug vergessen habe. Wenn das Fall ist, dann nutzt bitte einfach die Kommentarfunktion. Ich trage Euren Hinweis dann gerne nach.


Infos zum Titelbild dieses Beitrags:
Beim Thema Kleinform bei Autos denken viele sofort an den Ferarri 512S Modulo von 1970.

Foto: Tom Schwede

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Als Kind der 1970er-Jahre hatte Tom das große Vergnügen, in einem ausgesprochen automobilen Umfeld aufzuwachsen. Das war der optimale Nährboden, um heute über Autos zu schreiben und regelmäßig am Mikrofon über Autos zu sprechen. Denn Tom Schwede moderiert seit 2010 bei großen Oldtimer- und Klassik-Veranstaltungen in Deutschland. So ist Tom unter anderem bei den Classic Days (früher Schloß Dyck, heute in Düsseldorf) oder dem 1.000 Kilometer-Rennen am Nürburgring zu hören. Wenn Sie also einen Moderator oder Streckensprecher für Ihre Oldtimer-Rallye oder Ihr Oldtimer-Treffen suchen, dann sind Sie bei Tom definitiv richtig!

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