Männer, Ideen und Motoren – Life L190 und Life F35, ein hoffnungsloser Fall aus Italien

In der Formel 1 ein hoffnungsloser Fall: W12 von Franco Rocchi

1989 war der Turbo in der Formel 1 Geschichte. Die Aussicht, günstiger als bisher in der Königsklasse antreten zu können, lockte gleich mehrere neue Teams in den Sport. Und auch einige ambitionierte Motorenbauer hofften, es dank ungewöhnlicher Ideen mit der etablierten Konkurrenz aufnehmen zu können. Der Life F35, der den Life L190 antrieb, war der schlechteste Motor dieser Jahre.

Der Life F35 war schon optisch ungewöhnlich. Denn die Formel 1 kannte 1990 seit Jahrzehnten praktisch nur noch V-Motoren. Nur in der Turboära vertrauten BMW, Hart, Zakspeed und kurzfristig auch Alfa Romeo in der Moderne nochmal auf Reihenmotoren. Beim Comeback der Saugmotoren setzen alle wieder auf V-Motoren. Zum Einsatz kamen Motoren mit acht, mit zehn und zwölf Zylindern. Motorenbauer Franco Rocchi entschied sich, um einen möglichst kurzen Motor zu bauen, für einen W-Motor. Der Ingenieur wirkte einst bei Ferrari am legendären Ferrari 330P4 mit. Anfang der 1970er Jahre verantwortete Rocchi bei Ferrari den Motor des 308. Dessen 3,0 Liter großer Achtzylinder gilt bis heute als solide Meisterarbeit. 1980 schied Rocchi bei Ferrari aus, um sich selbständig zu machen.

W-Motor? Das war 1990 keine ganz neue Idee!

Der britische Flugmotorenhersteller Napier stellte bereits 1917 einen W-Motor vor. Auch im legendären Rumpler-Wagen (W6) und den Luxusfahrzeugen von Isotta Fraschini (W18) kamen W-Motoren zum Einsatz. Theoretisch verspricht das W-Motorkonzept den Vorteil, bei gleicher Motorlänge mehr Zylinder unterbringen zu können. Als nachteilig gilt die direkte Nachbarschaft des heißen Auslasstrakts der mittleren Zylinderbank mit dem Ansaugtrakt einer der äußeren Zylinderbänke. Als die FISA in der Formel 1 die bisher genutzten Turbomotoren verbot, sah Franco Rocchi seine Zeit gekommen. Zumal der Ingenieur im Unternehmer Ernesto Vita einen Partner fand, der die Fertigstellung des Motors in der Hoffnung auf ein gutes Geschäft finanzierte. Denn ein im Vergleich zum häufig genutzten Cosworth-Motor leistungsfähigerer Motor könnte sich als Trumpfkarte erweisen.

Sir Alan Cobhams "Golden Arrow"
Sir Alan Cobhams „Golden Arrow“ im Beaulieu Motor Museum. Ausgerüstet mit dem W12-Motor Napier Lion fuhr dieses Fahrzeug 1929 zum Geschwindigkeitsweltrekord. Gut zu erkennen sind die drei Blöcke des W-Motors (Foto: Hugh Llewelyn).

Vita und Rocchi hofften, ihren Motor an eines der etablierten Teams verkaufen zu können. Doch keines der bestehenden Teams wollte den W12-Motor einsetzten. Alle Verhandlungen verliefen im Sande, kein Team sah in dem Rocchi-Motor den entscheidenden Vorteil im Kampf um die Rennteilnahme. Denn 1989 stritten sich 39 Fahrzeuge um 26 Startplätze. Das größte Interesse zeigte noch Enzo Coloni, doch der Italiener konnte den Motor nicht bezahlen. Stattdessen legte sich Coloni sich und sein Team lieber zu Subaru ins Bett. Das führte zum Einsatz des von Carlo Chiti konstruierten Subaru MM 3512. Als sich keines der bestehenden Teams zum Einsatz des von ihm finanzierten W-Motors durchringen konnte, gründete der Ernesto Vita 1990 ein eigenes Team. Vita gab dem Team den Namen „Life“ – die englische Übersetzung seines Namens.

Ein Formel-1-Team benötigt ein eigenes Fahrzeug!

Das Team startete aus dem Nichts. Anders als andere Neueinsteiger wie Onyx (Einstieg Anfang 1989) oder Coloni (Einstieg im Spätsommer 1987) stieg Life nicht aus einer anderen Fahrzeugklasse in die Formel 1 auf. Der Einkauf eines Rennwagens bei einem der etablierten Rennwagen-Hersteller fiel aus. Lola belieferte die Equipe Larrousse. Dallara stattete die BMS Scuderia Italia mit dem notwendigen Rennwagen aus. March trat mit einem eigenen Team an. Ralt, bis 1988 in der Formel 3000 aktiv, gehörte zu March. Reynard arbeitete an einem eigenen Formel 1-Projekt, das sich jedoch nie Realität werden sollte. So kaufte Life auf der Suche nach einem geeigneten Chassis die Reste des Formel-1-Projekts von First Racing. First-Chef war der ehemalige Rennfahrer Lamberto Leoni.

1986 gründete Leoni ein eigenes Team, um in der Formel 3000 anzutreten. Zunächst nur mit dem Teamchef am Steuer, expandierte das Team schnell. Schon 1988/89 stieg First zum March-Werksteam mit Vorzugsbehandlung in der Formel 3000 auf. Doch die Ehe mit March ging nach kurzer Zeit in die Brüche. Den Rennwagen-Hersteller ärgerte, dass First in der zweiten Liga des Motorsports mit Marco Apicella den angepeilten Meistertitel verpaßte. Doch selbst dieses Scheitern hielt Leoni nicht davon ab, vom Aufstieg seines Teams in die Königsklasse zu träumen. Dabei griff Leoni – als Abkürzung – für den Bau des „eigenen“ Fahrzeugs auf Komponenten des March 88B aus der Formel 3000 zurück. In Zusammenarbeit mit dem ehemaligen Fittipaldi-Konstrukteur Riccardo Divila sollte so ein First entstehen.


Zwei Kranke in einem Bett ergeben keinen Gesunden – aus dem First F189 wurde der Life L190!

Doch Teamchef Leoni verlor das Interesse an dem Projekt. Ihn schreckte die in der Formel 1 eingeführte Vorqualifikation. Damit war die Nennung zum Grand Prix nicht automatisch mit der Rennteilnahme verbunden. Konstrukteur Divila trennte sich von First vor Fertigstellung des Fahrzeugs, um bei Ligier als Techniker anzuheuern. Gianni Marelli vollendete den Rennwagen. Der ehemalige Ferrari-Mitarbeiter betrieb in Mailand ein Konstruktionsbüro. Mit diesem unterstützte Marelli das deutsche Team Zakspeed bei Bau seiner Rennwagen. Im Herbst 1988 präsentierte First den von Marelli vollendeten Rennwagen auf der Motorshow von Bologna. Doch beim obligatorischen Crash-Test versagte die Konstruktion. Die FIA verweigerte First die Teilnahme am Rennen. Lamberto Leoni beerdigte sein Formel-1-Projekt daraufhin endgültig.

Life L190
2009 wurde der Life L190 in Goodwood ausgeführt. (Foto: Brian Snelson)

Trotzdem tauchte „sein“ Rennwagen, der im Kern ein Formel 3000 von March war, ein Jahr später in der Formel 1 auf. Denn Ernesto Vita erwarb den First, um ihn zusammen mit dem von Franco Rocchi entwickelten W12 in der Formel 1 zu verwenden. Gianni Marelli verstärkte das Chassis und passte es an den W12 von Rocchi an. Die FIA akzeptierte die Nennung des Teams. Und als das inzwischen „Life L190“ getaufte Fahrzeug im Frühjahr 1990 den Crashtest bestand, konnte das Abenteuer Formel 1 für Life tatsächlich beginnen. Beim Debüt in den USA erschien das Team erstmals im Kreis der etablierten Teams. Dort fiel der Life L190 sofort auf. Denn der im Vergleich zu anderen Motoren ungewöhnlich breite W12 machte eine Motorabdeckung notwendig, die wesentlich breiter als das Chassis war.

Life L190 hässlich und unfassbar langsam

Pilot Gerry Brabham, ein Sohn des großen Jack Brabham, mühte sich vergeblich. Immerhin vier Runden konnte Brabham mit dem „Rennwagen“ auf dem Stadtkurs von Phoenix zurücklegen. Dann blieb der Wagen mit einem Elektronikdefekt liegen. Brabhams beste Rundenzeit von 2:02 Minuten reichte nicht, um die Hürde der Vorqualifikation zu überspringen. Dafür hätte der Life fast 30 Sekunden schneller sein müssen. Trotzdem war Brabham nicht Letzter. Denn Bertrand Gachot im Coloni mit dem ähnlich hoffnungslosen Subaru MM 3512 schaffte keine ganze Runde. Beim zweiten Saisonlauf in Brasilien versuchte sich Brabham nochmals im hoffnungslosen Life. Diesmal stellte der Motor bereits beim Verlassen der Boxen die Arbeit ein. Da Gachot im Coloni eine ganze Runde schaffte, bedeutete das die rote Laterne für Life. Nach dem Desaster der Überseerennen verzichtete Brabham darauf, weiter für das Team zu fahren. Das Team suchte verzweifelt nach einem Piloten, der den Life L190 übernimmt.

Bernd Schneider schätzte das Projekt richtig ein und zeigte kein Interesse an dem Cockpit. Mögliche Piloten wie die Italiener Franco Scapini und Antonio Tamburini verfügten nicht über die in der Formel 1 notwendige Superlizenz. Schließlich nahm Bruno Giacomelli im Life L190 Platz. Der Italiener kehrte nach einer Pause von sieben Jahren als aktiver Pilot in die Formel 1 zurück. Seinen letzten Grand Prix fuhr Giacomelli Ende 1983 bei Toleman. Allerdings testete der Italiener 1989 regelmäßig für March. Doch im Life L190 konnte auch der erfahrene Pilot nichts ausrichten. Auch Giacomelli scheiterte mit dem Life L190 regelmäßig in der Vorqualifikation. Der Life L190 war mit Abstand das langsamste Fahrzeug der Formel 1-Saison 1990. Im Optimalfall fehlten auf den Coloni von Gachot nur zwei Sekunden. Doch wenn es nicht lief, dann verlor Giacomelli auf Gachot mehr als zehn Sekunden.

In Monaco waren sogar Formel 3-Rennwagen schneller als der „Formel 1“ von Life.

Ernesto Vita erkannte, dass der W12-Motor von Franco Rocchi nicht konkurrenzfähig war. Bruno Giacomelli geht heute davon aus, dass der Motor maximal 360 PS hatte. Im Sommer 1990 versuchte Vita, einen anderen Motor für den Life L190 zu bekommen. Doch erst für das Rennen in Portugal gelang es Giacomelli, bei March einen gebrauchten Judd-Motor abzustauben. Doch der Motor passte zunächst nicht in den Life L190. Das Team lies das Rennen aus. Beim anschließenden Europafinale in Spanien fuhr das Team, scheiterte jedoch trotz des Judd-Motors erneut in der Vorqualifikation. Die Überseerennen bestritt das Team nicht mehr. Ein wiederholt angekündigtes Comeback gelang nicht. Life ging mit seinem Life L190 ging als schlechtestes Formel-1-Team in die Geschichte ein.

Der von Franco Rocchi konstruierte W12 hatte einen großen Anteil am Scheitern. Rocchi behauptete gern, dass die Grundzüge seines Motors bereits zu seiner Zeit bei Ferrari entstanden seien. Das dementierte Ferrari 1990 sogar offiziell. Mit diesem desaströsen Projekt wollte in Maranello offenbar niemand in Verbindung gebracht werden. Kein Wunder, das nach dem Scheitern des Teams auch anschließend niemand den „Wundermotor“ haben wollte. Doch immerhin schaffte es Rocchi im Life L190 in die Formel 1. Das unterscheidet den Motor des Italieners von zwei anderen Motorenprojekten, die wir morgen im abschließenden vierten Teil unserer „Serie: Wie die Formel 1 die Turbos 1988 abschaffte“ vorstellen.


Infos zum Titelbild dieses Beitrags:
In der Formel 1 ein hoffnungsloser Fall: der W12 von Franco Rocchi.

Foto: Saveferris888 – https://commons.wikimedia.org/wiki/File:W12_Engine.jpg

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Ein Beitrag von:

Als Kind der 1970er-Jahre hatte Tom das große Vergnügen, in einem ausgesprochen automobilen Umfeld aufzuwachsen. Das war der optimale Nährboden, um heute über Autos zu schreiben und regelmäßig am Mikrofon über Autos zu sprechen. Denn Tom Schwede moderiert seit 2010 bei großen Oldtimer- und Klassik-Veranstaltungen in Deutschland. So ist Tom unter anderem bei den Classic Days (früher Schloß Dyck, heute in Düsseldorf) oder dem 1.000 Kilometer-Rennen am Nürburgring zu hören. Wenn Sie also einen Moderator oder Streckensprecher für Ihre Oldtimer-Rallye oder Ihr Oldtimer-Treffen suchen, dann sind Sie bei Tom definitiv richtig!