Männer, Ideen und Motoren – Als die Formel 1 den Turbo ins Museum schickte!

1989 schickte die Formel 1 die Turbos in den Ruhestand. Das Comeback der Sauger spülte neue Team und Motorenbauer in die Königsklasse.

Honda RA109E
Bankwinkel von 72 Grad. Das Triebwerk galt als bestes der neuen Saugmotoren. McLaren-Honda gewann zehn der 16 Saisonläufe. Und bei 15 Rennen stand ein Rennwagen mit Honda-Motor auf dem besten Startplatz. – Foto: Morio – https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Honda_RA109E_engine_front-left1_Honda_Collection_Hall.jpg

Geschichte wiederholt sich. Oder auch nicht. Vor 25 Jahren endete – wie in der Gegenwart – in der Formel 1 eine Ära. Ende 1988 verbot die Königsklasse die teuren und oft unzuverlässigen Turbomotoren. An ihre Stelle traten günstigere Saugmotoren. Die Aussicht darauf, für weniger Geld Formel 1 fahren zu können, lockte zahlreiche neue Teams und Motorlieferanten in den Sport. Wir blicken in unser Serie „Wie die Formel 1 die Turbos 1988 abschaffte“ zurück auf die Jahre 1989 und 1990. Denn damals wollten sich plötzlich nicht nur etablierte Motorenbauer in der Formel 1 versuchen. Größer als in dieser Zeit war das Motorangebot in der Königsklasse nie wieder.

Schon in den Anfangstagen der Formel 1 sah das Reglement aufgeladene Motoren vor. Wobei „aufgeladen“ damals mit mechanischen Kompressoren gleichzusetzen war. Die Idee, den Abgasstrom zu nutzen, um dem Motor beim Atmen zu helfen, ließ sich Alfred Büchi zwar schon 1905 patentieren. Doch zum Einsatz bei mobilen Motoren kam es erst in den 1930er-Jahren bei Lastkraftwagen. Erst 1961 wagte es Oldsmobile, einen Turbo in einem Auto anzubieten. Ein paar Jahre später fuhr BMW in der Tourenwagen-Europameisterschaft, die 1968 und 1970 mit Prototypen ausrückte, mit Abgasturboladern. Nachdem Porsche und Renault in Le Mans Erfahrung mit der Aufladung sammelten, war die Zeit reif, das Prinzip in der Königsklasse einzusetzen. 1977 feierte der Turbomotor von Renault in Silverstone sein Debüt! Ein Jahr benötigten die Franzosen bis zum ersten Erfolg. Dann brach endlich der Damm, die Teams wechselten reihenweise ins Turbolager.

Aufstieg und Fall der Turbomotoren: 1977 Debüt, 1. Sieg 1978, 1. Titel 1983 und ab 1987 ein Auslaufmodell!

1983 gewann letztmals ein Saugmotor ein Rennen. Im gleichen Jahr wurde Nelson Piquet mit dem Brabham-BMW erster Turbo-Weltmeister. Zwei Jahre später traten alle Teams mit Turbomotoren an. Doch das Wettrüsten war aberwitzig. BMW entlockte den Vierzylinder weit mehr als 1.000 PS. Die Leistung der Aggregate stieg mit dem Ladedruck. Immer wieder kam es zu spektakulären Motorschäden. Und jeder Motorschaden trieb die Kosten nach oben. Die Regelhüter der FISA und FIA reagierten. 1984 reduzierten sie die Benzinmenge, die ein Fahrzeug im Rennen verbrauchen durfte, auf 220 Liter. Das sorgte dafür, dass die Teams zumindest im Rennen die Leistung reduzierten. Doch im Training drehten die Teams weiter am Ladedruck und feierten ständig neue Leistungsrekorde. Als stärkster Motor dieser Epoche galt der Vierzylinder von BMW. Experten sprachen dem 1,5 Liter großen Motor während der Saison 1986 im Training mehr als 1.300 PS Leistung zu.

Ferrari 035 von 1989
Als der Turbo verboten wurde, kehrte bei Ferrari der V12 zurück. Ferrari 035 von 1989 (Foto: Arnaud)

Während der Grand Prix konnte BMW diese Leistung jedoch nicht nutzen, denn schon 1986 sank die erlaubte Benzinmenge pro Rennen auf 195 Liter. Und im Oktober des gleichen Jahres erklärte die FISA den aufgeladenen Motor zum Auslaufmodell und leitete die Rückkehr zu konventionellen Saugmotoren ein. Schon 1987 limitierte sie den Ladedruck der Turbos auf 4,0 bar. Gleichzeitig hoben die Verantwortlichen den Hubraum der Saugmotoren von 3,0 auf 3,5 Liter an. 1988 sanken der erlaubte Ladedruck auf 2,5 bar und die Benzinmenge auf 150 Liter pro Rennen. Schon diese Ankündigungen lockten mit Leyton House March, Larrousse Calmels und Coloni sofort drei neue Teams in die Königsklasse des Motorsports. Zudem stellten AGS und das Traditionsteam Tyrrell auf Saugmotoren um. Alle „Saugervertreter“ vertrauten auf den bewährten V8-Motor von Cosworth, den sie jedoch von unterschiedlichen Tunern vorbereiten ließen.

Ende 1988 rollten die Turbos ins Museum

Ein Jahr später – zum Turbo-Finale – gab es bei Judd einen weiteren Achtzylinder-Sauger für die Königsklasse zu kaufen. Williams, March und Ligier entschieden sich für den Motor des Briten. Cosworth gewann mit Benetton und Minardi sowie den Neueinsteigern Rial, EuroBrun und der BMS Scuderia Italia weitere Kunden. Damit galt das Comeback der Saugmotoren als Erfolgsmodell. Denn schon 1987 und 1988 durften die Verantwortlichen sechs neue Teams in ihrer Königsklasse begrüßen. Zudem gab es mit JUDD einen neuen Motorlieferanten. Gleichzeitig vertrauten nur noch McLaren und Lotus (beide Honda), Arrows (Megatron = BMW), Osella (Alfa Romeo) sowie Zakspeed auf Turbomotoren. Osella und Zakspeed entschieden sich wohl deshalb für die bisherigen Motoren, weil ihnen der Umstieg zu teuer war. Sie nutzten, was sie in ihrem Lager hatten. Osella fuhr alte Alfa Romeo-Motoren auf, Zakspeed nutzte den eigenen Vierzylinder.

F1 Motor Yamaha OX88
Der Yamaha OX88, den 1989 Zakspeed einsetzte. (Foto: Morio)

Mit dem vollständigen Turboverbot mussten alle Teams auf Saugmotoren wechseln. Für Honda, Ferrari und Renault war die Umstellung der Motoren kein Problem. Sie nutzten den Vorlauf von zwei Jahren, um passende Motoren für die neue Ära zu entwickeln. Ferrari vertraute traditionell auf einen Zwölfzylinder. Renault und Honda entschieden sich für zehn Zylinder. Bei Cosworth entstand – zunächst exklusiv für Benetton – ein neuer Achtzylinder, den die Entwickler konsequent auf das Hubraumlimit von 3,5 Litern auslegten. Deshalb bekam der Ford HB getaufte Motor beispielsweise einen Zylinderwinkel von 75° – und nicht wie der traditionsreiche Cosworth DFV 90°. Mit Lamborghini und Yamaha stiegen zudem zwei neue Motorenhersteller in die Formel 1 ein. Bei Lamborghini war Ferrari-Legende Mauro Forghieri für die Entwicklung des Motors verantwortlich. Kaum verwunderlich, dass auch bei Lamborghini ein V12 entstand.


Wer fuhr 1989 mit welchem Motor?

Die Formel 1-Saugmotoren von 1989 im Überblick:

  • Honda – V10 bei McLaren (684 PS)
  • Renault – V10 bei Williams (670 PS)
  • Ferrari – V12 bei Ferrari (669 PS)
  • Ford-Cosworth DFR – V8 mit 90° bei Tyrrell, Arrows, Osella, Benetton (bis Kanada), BMS Scuderia Italia, Minardi, Liger, Coloni, Onyx, Rial, AGS (590 PS bis 629 PS). Benetton hatte Werksmotoren, die anderen Teams Kundenmotoren von Langford & Peck (Tyrrell), Novamotor (Coloni) beziehungsweise Heini Mader Racing Components
  • Ford-Cosworth HB – V8 mit 75° Benetton (640 PS)
  • Judd – V8 bei Lotus, Leyton House March, EuroBrun (608 PS)
  • Lamborghini – V12 bei Larrousse (620 PS)
  • Yamaha – V8 bei Zakspeed (580 PS)

Die Leistungsangaben entstammen der zeitgenössischen Literatur. Sie wurden damals teilweise sicher geschätzt. Denn nicht alle Motorenbauer und -Tuner gaben offiziell Leistungsdaten bekannt.


Den Yamaha-Motor erhielt exklusiv das deutsche Zakspeed-Team. Mit rund 580 PS Leistung, die der Achtzylindermotor zur Verfügung stellte, galt der Motor als das schwächste Triebwerk der Saison 1989. Die schwache Leistung überraschte, da der Yamaha-Motor mit seinem Fünf-Ventil-Zylinderkopf eine anspruchsvolle Konstruktion war. Doch im Rückblick wirkt das Yamaha-Engagement immer noch etwas halbherzig. Scheinbar unterschätzten die japanischen Entwickler die Herausforderung der Königsklasse. Und so fuhr Zakspeed auch mit dem japanischen Motor in der Königsklasse nur hinterher und trat schon 1990 nicht mehr im Grand Prix-Rennsport an. Damit war das Team aus der Eifel an der Abkehr vom Turbo gescheitert. Denn trotz der Regeln, die die Kosten senken sollten, fand Zakspeed keinen Motor, den das Team sich leisten konnte. Denn schon den Yamaha-Motor fuhr das Team 1989 wohl vor allem, weil es den Motor kostenlos erhielt!


Honda setzte die Maßstäbe – 1988 mit dem Turbo und 1989 mit dem Saugmotor!

An der Spitze der Leistungspyramide stand mit Honda ein anderes japanisches Unternehmen. Das lag sicher daran, dass der Autobauer die Formel 1 damals mit großem Aufwand betrieb. 1988 – im letzten Turbo-Jahr – gewann Honda mit McLaren 15 der 16 WM-Läufe. Den Sieg beim Großen Preis von Italien verhinderte, dass Ayrton Senna beim Überrunden mit dem Williams des überforderten Jean-Louis Schlesser kollidierte. Schlesser feierte bei dem Rennen mit 40 Jahren als Ersatz für den verletzten Nigel Mansell sein Grand Prix-Debüt. Es sollte der einzige Auftritt des Franzosen in der Königsklasse bleiben. Nach dem Umstieg auf Saugmotoren setzte Honda seine Erfolgsserie nahtlos fort. 1989 gewann McLaren dank der japanischen Motoren zehn der 16 Saisonläufe. Bei 15 Läufen der Saison 1989 sicherte sich ein McLaren-Honda den besten Startplatz. Weltmeister wurde – nach der Schande von Suzuka, als die FIA Ayrton Senna disqualifizierte – Alain Prost im McLaren-Honda.

Neben Honda trugen sich 1989 auch Ferrari – wo Nigel Mansell das erste Rennen der neuen Ära gewann – sowie Renault und Ford in die Siegerliste ein. Wobei der Erfolg von Alessandro Nannini in Japan nur dank der Disqualifikation von Ayrton Senna möglich wurde. Trotz der Dominanz von Honda galt der Umstieg auf den Saugmotor als Erfolg. Denn der Zustrom der neuen Team machte zeitweilig sogar eine Vorqualifikation notwendig. Schon 1988 brachten die 18 Teams 31 Rennwagen an den Start – damals konnten die Teams auch mit nur einem Auto antreten. Ein Jahr später lockten die neuen Motoren, die eigentlich die alten waren, mit Onyx und dem Rückkehrer Brabham zwei weitere Teams in die Königsklasse des Motorsports. Damit wollten 1989 bis zu 39 Fahrzeuge an den Grand Prix teilnehmen. Für die offizielle Qualifikation sah die FIA in ihren Regeln jedoch nur 30 Starter vor.

Eine Vorqualifikation siebte die Langsamen aus!

Schon 1988 reduzierte die FIA erstmals mit einer Vorqualifikation die Anzahl der Teilnehmer auf 30 Starter, die anschließend an der offiziellen Qualifikation teilnehmen durften. Das nahm 1989 eine neue Dimension an. Denn zu Saisonbeginn verpflichteten die Verantwortlichen die Neueinsteiger und die schlechtesten Teams der Vorsaison zur Teilnahme an der Vorqualifikation. Am Freitagmorgen mussten daher beide Piloten von Brabham, Osella, Zakspeed und Onyx sowie jeweils ein Fahrer von Rial, EuroBrun, Larrousse, Coloni und AGS ausrücken, um sich für das reguläre Training zu qualifizieren. Wer dabei scheiterte, hatte bereits am Freitagmorgen für den Rest des Wochenendes frei. Das deutsche Zakspeed-Team schaffte mit Bernd Schneider nur zweimal den Sprung ins Hauptfeld. Der zweite Pilot des Teams, der Japaner Aguri Suzuki schied bei allen 16 Versuchen bereits in der Vorqualifikation aus.

1989, Pierre-Henri Raphanel im Rial ARC2
Rial gehörte zu den Teams, die 1988 neu in die Formel 1 einstiegen. Das Team trat zunächst mit nur einem Auto an. 1989 setzte Rial einen zweiten Wagen ein. Für 20 Grand Prix qualifizierte sich das Team und fuhr dabei sechs WM-Punkte ein. Pierre-Henri Raphanel, hier in Barcelona im Rial ARC2 mit Ford-Cosworth-Motor gelang nie der Sprung ins Startfeld. Ende 1989 war Schluß. Teamchef Günter Schmid, den Zeitzeugen als schwierig bezeichneten, schloss sein Team. (Foto: Ford)

Rial, das zweite deutsche Team, übersprang die Hürde der Vorqualifikation regelmäßig. Zudem profitierte das Team im Saisonverlauf von einem vierten Platz, den Christian Danner in den USA herausfuhr. Ab der Mitte der Saison durfte Rial deshalb als nun gesetztes Team mit beiden Autos sofort an der regulären Qualifikation teilnehmen. Doch das Team entwickelte das eigene Fahrzeug nicht weiter. Das war ungünstig, da die Mehrzahl der Teams angestachelt vom hohen Wettbewerbsdruck stetig Fortschritte machten. Sie verbesserten ihre Autos, während Rial innerhalb kurzer Zeit völlig den Anschluss verlor. Selbst ohne die Last der Vorqualifikation nahm schon ab dem achten von sechzehn Saisonrennen kein Rial mehr am Rennen teil. Denn nun hatte das Team Schwierigkeiten, sich in der regulären Qualifikation zu behaupten. Am Ende des Jahres 1989 zog sich das Team – sogar noch vor Zakspeed – aus der Königsklasse zurück.

Es war noch Luft nach unten – Auftritt Subaru und Life!

Damit verlor Deutschland innerhalb weniger Monate beide Formel 1-Teams. Trotzdem war der Zustrom in die Formel 1 noch nicht zu Ende. Denn 1990 betrat mit Life aus Italien auch ein neuer Rennstall die Bühne. Mit 31 Autos war auch 1990, wie schon 1988 und 1989 eine Vorqualifikation notwendig. 26 Autos garantierte die FISA die Teilnahme am Training. Um die verbleibenden vier Trainingsplätze stritten neun Autos. Larousse, AGS und EuroBrun (mit je zwei Autos) sowie Coloni, Osella und Life (mit je einem Auto) fuhren also fortan am Freitagmorgen um die Wette. Beim Saisonauftakt lagen EuroBrun, Lola und Osella innerhalb einer Sekunde, die AGS verloren schon drei Sekunden auf eine Runde. Dem Life fehlten 35 Sekunden, dem Coloni sogar mehr als drei Minuten auf den Schnellsten der Vorqualifikation. Das lag vor allem an den Motoren, die die Teams nutzen.

In der Formel 1 ein hoffnungsloser Fall: W12 von Franco Rocchi
In der Formel 1 ein hoffnungsloser Fall: der W12 von Franco Rocchi. Der Motor leistete offiziell 600 PS – Fahrer Bruno Giacomelli sagte später, dass das Triebwerk seiner Meinung nach nicht mehr als 360 PS Leistung hatte. Doch damit nicht genug, denn der Motor saß in einem Chassis, das zwar offiziell Life L190 hieß, tatsächlich aber wohl ein Nachbau des March 88B aus der Formel 3000 war. Mit ihm wollte ursprünglich First Racing 1989 in der Königsklasse antreten. Doch das Team bekam das notwendige Geld nicht zusammen (Foto: Saveferris888).

Denn im Kampf um die Vorqualifikation suchten damals viele Team ihr Glück in einem – wie sie hofften – ganz „besonderen“ Motor, der Ihnen die notwendige Extra-Leistung verschaffte. So setzte Life einen vom ehemaligen Ferrari-Ingenieur Franco Rocchi entwickelten W12 ein. Coloni vertraute auf einen von Carlo Chiti entwickelten Zwölfzylinder, dessen Namensrechte der Italiener an Subaru verkaufte. Beide Motoren sollten nie die notwendige Reife für den Einsatz in der Formel 1 erreichen. Das passte offenbar in die Zeit, denn bei AGS gab es einen weiteren Zwölfzylinder, den selbst das chronisch unterfinanzierte Team von Henri Julien als zu schlecht aussortierte. Lesen Sie morgen im zweiten Teil dieser Serie „Wie die Formel 1 die Turbos 1988 abschaffte“, wie diese Triebwerke ihre Erbauer und die Teams, die diesen vertraute, blamierten.

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Als Kind der 1970er-Jahre hatte Tom das große Vergnügen, in einem ausgesprochen automobilen Umfeld aufzuwachsen. Das war der optimale Nährboden, um heute über Autos zu schreiben und regelmäßig am Mikrofon über Autos zu sprechen. Denn Tom Schwede moderiert seit 2010 bei großen Oldtimer- und Klassik-Veranstaltungen in Deutschland. So ist Tom unter anderem bei den Classic Days (früher Schloß Dyck, heute in Düsseldorf) oder dem 1.000 Kilometer-Rennen am Nürburgring zu hören. Wenn Sie also einen Moderator oder Streckensprecher für Ihre Oldtimer-Rallye oder Ihr Oldtimer-Treffen suchen, dann sind Sie bei Tom definitiv richtig!