Fahrberichte: Nissan

Nissan Snow Experience oder wie fährt man eigentlich auf Eis und Schnee?

Endlich Schnee! Ich kann mich kaum noch daran erinnern, wann es das letzte Mal hier im Kohlenpott richtig geschneit hat. In den vergangenen Jahren waren die Winter mild, Schnee glänzte durch Abwesenheit. Doch in diesem Jahr ist alles anders. Mehrfach gingen ordentliche Schneeschauer über Deutschlands größtem Ballungsraum nieder. Mit erschreckenden Ergebnissen. Denn auf den Straßen war an ein normales Fortkommen nicht mehr zu denken. Es dominierte der Stillstand. Die Durchschnittsgeschwindigkeit näherte sich der Null. Dabei ist das Fahren auf Schnee gar kein Hexenwerk.

Ich war vor ein paar Tagen in den Schweizer Alpen, um das Fahren im Schnee im Rahmen der Nissan Snow Experience ausführlich zu trainieren. Auf dem Gelände eines Flughagens im Engadin stand das gesamte Nissan-Allradprogramm zum Ausprobieren auf dem gefrorenen Untergrund zur Verfügung. „4×4 Winter-Training“ nennt Nissan das. Bei Interesse können die Nissan-Händler eine Teilnahme an dem Programm vermitteln.

Mit der Fokussierung auf seine Allrad-Produkte dokumentiert Nissan nebenbei seine lange Allrad-Geschichte. Seit 1951 bauen die Japaner Allradfahrzeuge. Die ersten Exemplare entstanden exklusiv für das japanische Militär. Doch seit den 1960er-Jahren bietet Nissan seine Allradfahrzeuge auch zivilen Kunden an. Heute verfügt Nissan über ein umfangreiches Angebot an Allradmodellen. Von den SUV- und Crossover-Modellen Juke, Murano, Qashqai oder X-Trail bis zum Sportwagen Nissan GT-R werden bei Nissan – zumindest optional – alle vier Räder angetrieben.

Doch im Fahrtraining zeigt sich schnell, Allrad ist kein Allheilmittel. Fahrtrainer Walter Müller wird am Funkgerät nicht müde zu betonen, dass alle Autos nur mit vier Rädern bremsen – egal wie viele der Räder angetrieben werden. Und besonders bergab entscheide hauptsächlich der Reifen darüber, ob Fahrzeug und Besatzung heil im Tal ankommen. Denn der Reifen sorgt für die Verzahnung mit der Oberfläche und hält damit das Auto auf der Straße. Sie sind die Schnittstelle, an der der Übergang von der Haftreibung zur Gleitreibung erfolgt.

Kein Wunder, dass Experten wie Müller raten, die Winterreifen regelmäßig zu erneuern. Denn vier Jahre alte Winterreifen können durch die Alterung des Gummis nur noch einen Bruchteil dessen, was sie im ersten Winter konnten. Insofern habe das Allradauto zweifelsfrei einen Vorteil, wenn seinem Fahrer wegen der alten Reifen die Straße ausgegangen sei. Denn dank ihres Antriebs kommen Allradautos meist schneller auf die Straße zurück, betont der Schweizer trocken.

Der Kammsche Kreis diktiert die Grundlagen

Kammscher Kreis
Kammscher Kreis (Quelle Wikipedia)

Nissan und Müller wollen mit dem Training dazu beitragen, dass es gar nicht erst so weit kommt. Dazu ruft Müller vor den ersten Metern auf dem verschneiten Untergrund ins Trainingszelt. Dort erläutert der Fahrlehrer mit dem kammschen Reibkreis die Grundlagen der Fahrphysik. Wunibald Kamm Aerodynamiker und Professor für Kraftfahrzeugtechnik zunächst in Stuttgart und später in Frankfurt dokumentierte in den 1930-Jahren ausführlich die Zusammenhänge zwischen Längs- und Seitenführungskräften eines Fahrzeugs.

Der nach Kamm benannte Kreis stellt diesen Zusammenhang idealisiert dar. Der Radius entspricht der jeweils zur Verfügung stehenden maximalen Gesamtkraft, die das Rad auf die Fahrbahn übertragen kann. Im Prinzip dient dieser Kreis heute als Entscheidungsgrundlage für die Technikhelfer, die heute im Auto an Bord sind. Der kammsche Kreis beschreibt dabei, wann die Technik eingreift. Droht das Fahrzeug den Kreis zu verlassen, greifen Antriebsschlupfregelungen (ASR) und Antiblockiersysteme (ABS) ein. Mit gezielten Bremseingriffen oder dem Reduzieren der Leistung begrenzen sie den Schlupf am Rad so, dass ein Blockieren bzw. Durchdrehen der Räder verhindert wird.

Bei seinen Schilderungen offenbart sich der Schweizer Fahrtrainer als kauziger Typ, der die trockene Materie mit viel Humor erzählen kann. Walter Müller versetzt sich dazu in einen unbedarften Autofahrer hinein, den die Technik gerade auf der Straße gehalten habe. „Endlich blinkt da dieses gelbe Licht!“, denke dieser und registriere – so Müller – gar nicht, dass die Technik ihm in diesem Moment vielleicht das Leben gerettet hat. Denn ohne das Eingreifen wäre die Fahrt möglicherweise frontal in einem Postauto geendet. Oder das Auto wäre spontan und ohne zu blinken von der Straße abgebogen. Je nachdem, ob unser Autofahrer mit einem Auto mit Frontantrieb (Postauto) oder Heckantrieb (Abbiegen) sitze.

Grau ist alle Theorie – weiß ist der Schnee.

Mit dem notwendigen theoretischen Rüstzeug geht es raus auf das Trainingsgelände. Zusammen mit Bernd vom AWR Magazin entscheide ich mich für die ersten Übungen für einen Nissan Juke. Zunächst gilt es, sich mit dem ungewohnten Untergrund vertraut zu machen. Unter dem Schnee lauert pures Eis. Das wurde zwar über Nacht aufgeraut. Doch ein Dutzend Fahrzeuge, die von ihren Fahrern bewusst bis an die Grenzen getrieben werden, machen diese Bemühungen blitzschnell wieder zu Nichte. Mit jedem Meter, den die Fahrzeuge auf dem Trainingsgelände zurücklegen, wird es noch glatter. Nach ein paar Runden im Slalom-Parcours wird die Haftgrenze langsam fühlbar. Das Popometer ist eingemessen.

Im Auto zeigt sich, wie wichtig es ist, vor dem Einlenken die Geschwindigkeit zu reduzieren. Wer auf Eis bei einer zu hohen Geschwindigkeit einlenkt, fährt einfach weiter in die bisherige Richtung. Die Reifen können auf dem glatten Untergrund die gewünschten Seitenführungskräfte nicht übertragen. Das Fahrzeug hat den kammschen Kreis offensichtlich verlassen. Meine Augen suchen das Postauto, das Trainer Walter Müller zuvor so bildreich in seine Schilderungen einbaute. Doch zum Glück befinde ich mich auf einem abgesperrten Trainingsgelände. Dort kommt mir niemand entgegen. Nach einer ausführlichen Eingewöhnungsphase, zu der auch ein paar Fahrzeugwechsel gehören, ruft Trainer Walter Müller zur zweiten Übung. Jetzt gilt es, das Gelernte in einer „Gefahrensituation“ umzusetzen.

Nissan Snow Experience 2015
Das Heck kommt – unterwegs auf Eis und Schnee.

Die Aufgabe klingt einfach: Beschleunige bis zur Lichtschranke. Weiche direkt hinter der Lichtschranke einem Hindernis aus und kehre in die ursprüngliche Fahrspur zurück. Im Alltag vergleichbar mit einem plötzlichen Ausweismanöver auf einer winterlichen Landstraße. Hier – im Wintertraining – misst die Lichtschranke die Geschwindigkeit, um einen „Sieger“ zu ermitteln. Wobei zum Sieg auch gehört, das Fahrzeug beim Ausweichen nicht die Kontrolle über das Fahrzeug zu verlieren.

Ich gewinne!

Schnell zeigt sich, dass schon das Beschleunigen heute nicht einfach ist. Der Untergrund besteht inzwischen aus purem Eis. Wer jetzt kopflos Gas gibt, kommt gar nicht richtig auf Geschwindigkeit. Ich wähle für diese Aufgabe den Nissan Murano. Das erweist sich als Vorteil. Denn der Crossover verfügt über einen permanenten Allradantrieb. Dank seiner Traktion geht es auch auf Eis zügig vorwärts. Mit 58 Kilometern pro Stunde „presche“ ich durch die Lichtschranke und bewältige auch die Aufgabe des Ausweismanövers erfolgreich.

Später probiere ich die Übung im Nissan GT-R. Dabei erliege ich dem Drang zum beherzten Durchtreten des Gaspedals. Sofort drehen die Räder durch. Die Elektronik begrenzt die Leistungsabgabe. Beides reduziert den Vortrieb. Ich komme mit dem Sportler nicht auf die gleiche Geschwindigkeit wie zuvor im Crossover. Anderen geht es ähnlich, so bleibt meine Geschwindigkeit bis zum Ende die obere Messlatte.

Doch der „Sieg“ ist zweitrangig. Viel wichtiger ist die Erfahrung auf dem losen Untergrund. Ich habe schon einige Runden auf Rennstrecken gedreht und auch an mehreren Fahrertrainings teilgenommen. Doch der Ausflug auf Schnee und Eis war für mich dabei absolutes Neuland. Eigentlich fahrlässig, denn auch wenn Schnee in unseren Breiten selten ist, Eisflächen bilden sich auch im Flachland. Unvorsichtige Verkehrsteilnehmer, die plötzlich die Nase ihres Autos in den fließenden Verkehr stecken, nehmen auf Eisflächen keine Rücksicht.

Insofern sollte, wer auch im Winter auf den Straßen unterwegs ist, durchaus einmal über ein Winter-Fahrertraining nachdenken.

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Als Kind der 1970er-Jahre hatte Tom das große Vergnügen, in einem ausgesprochen automobilen Umfeld aufzuwachsen. Das war der optimale Nährboden, um heute über Autos zu schreiben und regelmäßig am Mikrofon über Autos zu sprechen. Denn Tom Schwede moderiert seit 2010 bei großen Oldtimer- und Klassik-Veranstaltungen in Deutschland. So ist Tom unter anderem bei den Classic Days (früher Schloß Dyck, heute in Düsseldorf) oder dem 1.000 Kilometer-Rennen am Nürburgring zu hören. Wenn Sie also einen Moderator oder Streckensprecher für Ihre Oldtimer-Rallye oder Ihr Oldtimer-Treffen suchen, dann sind Sie bei Tom definitiv richtig!