Wer regelmäßig Oldtimer-Treffen besucht weiß, dass auch Kleinbusse und Lieferwagen treue Fans haben. Besonders für Exemplare aus der Zeit des Wirtschaftswunders zahlen Liebhaber inzwischen gute Preise. Doch langsam rücken auch jüngere Transporter wie der 1995 präsentierte Mercedes-Benz Sprinter ins Blickfeld der Fans. Nach ihren Produktionsorten nennen Fans sie heute Düsseldorfer, Bremer oder Harburger Transporter.
Wohl auch, weil der Sprinter heute einer ganzen Fahrzeugklasse seinen Namen gibt. Das war beim Debüt 1995 kaum vorhersehbar. Zumal der Sprinter erst der zweite in Stuttgart entwickelte Kleintransporter war. Denn in den Markt der Fahrzeuge mit rund einer Tonne Nutzlast trat Daimler-Benz in Deutschland erst spät ein. Zudem setzten die Stuttgarter dabei zunächst auf eine übernommene Konstruktion. Denn 1969 übernahm Daimler-Benz 51 Prozent der Hanomag-Henschel-Fahrzeugwerke GmbH in Hannover. Unter diesen Namen führte die Essener Rheinische Stahlwerke AG zeitgleich den Fahrzeugbau ihrer Töchter Hanomag und Henschel zusammen. Zum 1. Januar 1971 über nahm Daimler Hanomag-Henschel vollständig. Diese Übernahme veränderte den Markt der Nutzfahrzeuge in Deutschland.
Denn in den Nachkriegsjahren deckte kein Hersteller das gesamte Sortiment vom leichten Transporter bis zum Schwerlastkraftwagen ab. Unternehmen wie VW, Ford, Borgward, Opel, Hanomag und Tempo stellten Transporter für Handwerker oder Wochenmarkt-Händler her. Einige von ihnen boten noch auch leichte Lastkraftwagen für den lokalen Lieferverkehr an. Erst in diesem Marktsegment trafen sie auf Konkurrenz der Lkw-Hersteller MAN, Büssing, Magirus-Deutz oder Hentschel. Auch Daimler-Benz bot ab Mitte der 1950er-Jahre mit dem L 319 ein Kleintransporter mit einem Gesamtgewicht von 3,6 Tonnen an. Mit der Übernahme von Hanomag-Henschel stieg die damalige Daimler-Benz AG im Deutschland zum ersten Vollsortimenter im Bereich der Nutzfahrzeuge auf.
In Spanien bot Daimler-Benz bereits zuvor einen kleinen Transporter an!
Denn einen einen kleinen Transporter für Handwerker oder Händler gab es nur auf ausgewählten Auslandsmärkten mit Mercedes-Stern. Schließlich kaufte Daimler bereits 1958 auf Drängen seines Großaktionärs Friedrich Flick die Auto Union. Das war vor allem für Flick ein gutes Geschäft. Denn Flick hielt an der Auto Union noch mehr als 40 Prozent der Aktien, machte beim Verkauf richtig Kasse.
Mit der Auto Union übernahm Daimler-Benz unter anderem den DKW-Schnellaster. Wohl auch deshalb stellten die Stuttgarter ihrem L 319 keinen kleinen Bruder zur Seite. Denn die Auto Union war im Markt der leichten Transporter durchaus erfolgreich. Zumal sie ihren Schnellaster nicht nur in Deutschland anbot. Zur Auto Union gehörte auch die spanische Industrias del Motor S.A. (IMOSA). Sie baute seit 1954 den DKW-Schnellaster im baskischen Vitoria. Im während der Franco-Diktatur abgeschotteten Spanien war das ein lukratives Geschäft.
Denn der Schnellaster war praktisch konkurrenzlos. Die staatliche ENASA (Empresa Nacional de Autocamiones S.A.) bot mit ihrer Marke Pegaso nur größere Lastkraftwagen an. Unter der Regie von Daimler leiteten die IMOSA-Techniker vom DKW-Schnellaster den DKW-IMOSA F 1000 L mit einer modern gezeichneten Frontlenkerkarosserie ab. Die Karosserie entwarf die Carrozzeria Fissore in Italien. Kenner wissen, dass bei Fissore später die Karosserie des Alpine A310 entstand. Zudem war Fissore als Fertigungsstätte Teil des Auto-Reichs von Peter Monteverdi. Daneben verdiente das Unternehmen sein Geld mit Auftragsarbeiten wie dem Transporter der IMOSA.
Aus dem DKW F 1000 L wurde der Mercedes N 1000!
Von 1963 bis 1965 boten auch die Auto Union Händler in Deutschland den Transporter aus dem Baskenland an. Doch Daimler-Benz reichte die Auto Union bald an Volkswagen weiter. VW stoppte dem Import des F 1000 L und setzte lieber auf den eigenen VW-Transporter. Deshalb blieb auch das spanische Werk bei Daimler-Benz. VW fiel der Schritt auch deshalb leicht, weil der Zweitakter des DKW als nicht mehr zeitgemäß galt. Das wussten auch die spanischen Entwickler.
Sie implantierten dem F 1000 L daher bereits 1964 einen Diesel aus Stuttgart. Wobei sie den 1,8 Liter großen Viertakt-Vorkammer-Diesel von der ENMASA bezogen. Denn die ENMASA fertigte den Mercedes-Benz OM 636 in Barcelona als Daimler-Benz-Lizenznehmer. ENMASA bezahlte seine Lizenzen aus Stuttgart mit der Lieferung der Motoren an die spanische Daimler-Tochter IMOSA. So sahen Wirtschaftskreisläufe in den 1960er-Jahren aus!
Zum Geschäft mit Volkswagen gehörte übrigens, dass sich Daimler-Benz mit dem Verkauf des F 1000 auf die Iberische Halbinsel beschränkte. Bald verschwand auch in Spanien der Name DKW. Nach einem Zwischenschritt als MEVOSA bot Daimler-Benz den kleinen Lieferwagen ab 1975 als Mercedes an, verzichtete weiter auf einen Import nach Deutschland. Die Modellbezeichnungen lauteten je nach Nutzlast Mercedes-Benz N 1000 oder N1300.
Erst den 1988 präsentierten MB 100, den Nachfolger des N1000/1300 verkaufte Daimler-Benz auch in der eigenen Heimat. Wobei auch der MB 100 immer noch auf den DKW-Schnellaster zurückgeht. Die Drehstabfederung an der Vorderachse benötigt regelmäßiges Abschmieren. Ende der 1980er-Jahre ist das eigentlich nicht mehr zeitgemäß. Doch dank des Rohrrahmens entstehen auf Basis des MB 100 trotzdem gerne Verkaufswagen, Möbeltransporter oder Abschlepper.
Aus dem Erbe von Hanomag-Henschel entstanden die Harburger Transporter!
Oberhalb des MB 100 bot Daimler-Benz bereits seit 1977 die selbst entwickelten Transporter der intern T1N („Transporter 1 Neu“) genannten Baureihe an. Diese Fahrzeuge liefen zunächst in Bremen vom Band. Weshalb Fans diese Fahrzeuge heute als die „Bremer Transporter“ bezeichnen. Erst ab Mitte der 1980er-Jahre zog Daimler-Benz die Produktion des Transporters nach Düsseldorf um.
Mit dem selbst entwickelten Transporter löste Daimler-Benz sich endgültig vom Erbe von Hanomag-Henschel. Denn mit Hanomag-Henschel kam bereits 1969 ein kleiner Transporter ins Programm der Stuttgarter. Der Mercedes-Vertrieb nahm dieses Fahrzeug, das nach seinem Produktionsort Harburger Transporter hieß, dankend auf. Denn zuvor startete das Line-up der Stuttgarter erst bei einem Gesamtgewicht von 3,49 Tonnen. Das war für viele Handwerker zu viel, weshalb sie ihre Transporter woanders kauften. Mit dem Harburger Transporter konnte der Mercedes-Vertrieb sie endlich bedienen.
Der Mercedes von Tempo!
Neben VW, Ford, Borgward oder Opel spielten während des Wirtschaftswunders auch die Tempo-Werke im Transporter-Markt eine wichtige Rolle. Der Autobauer aus Hamburg Harburg bot neben seinen bekannten Dreirädern ab 1949 auch den Lieferwagen Matador mit VW-Motor an. Dank Frontantrieb und einer ebenen Ladefläche glänzte der Matador mit einer besseren Raumausnutzung als der bekannte T1 von Volkswagen.
1952 stellte VW die Lieferung der Motoren an den Wettbewerber überraschend ein. Hecktisch integrierte Tempo Motoren aus dem Ingenieurbüro Müller aus Andenach in den Matador. In den Matador-Varianten Wiking und Rapid setzte Tempo auch auf einen Zweitakter von Heinkel. Beides waren nur Zwischenschritts. Denn ab 1956 sicherte sich Tempo den Vierzylinder aus dem Austin A35. Zeitgleich vereinbarte Tempo-Eigner Oscar Vidal eine enge Zusammenarbeit mit Hanomag.
Zur Absicherung erwarb die Hanomag-Mutter Rheinstahl Anteile an Tempo. Dieses Investment fuhr Rheinstahl in den kommenden Jahren bis auf 100 Prozent hoch. Nach der vollständigen Übernahme machte Rheinstahl aus Tempo 1965 eine Marke von Hanomag. Womit bald ein Diesel von Hanomag in den Matador einzog. Zwei Jahre später überarbeitete Hanomag die Karosserie. Aus dem rundlichen Matador wurde dabei der sachliche Hanomag F20. Auch er hieß bei den Fans bereits Harburger Transporter.
Nach der Übernahme von Hanomag-Henschel durch Daimler-Benz überarbeiteten Techniker aus Stuttgart die Konstruktion. Sie modifizierten das Fahrgestell und ersetzten die Parallelschwingen an der Hinterachse durch eine Starrachse. Ein paar Jahre bot Daimler den Transporter noch parallel als Mercedes und als Hanomag-Henschel an. Bei den Fans bürgerte sich in diesen Jahren der Name Harburger Transporter ein, da das Tempo-Werk in Hamburg Harburg stand.
Erst 1975 lies Daimler den Namen Hanomag fallen. Zwei Jahre später ersetzte die Eigenentwicklung T1N den Harburger Transporter. T1N blieb 17 Jahre in Deutschland im Programm und erwies sich damit als echter Langläufer. Doch erst der 1994 präsentierte Nachfolger Sprinter gab der Klasse seinen Namen.
Andreas Sonnek
24. März 2021Vielen Dank für den Bericht über die KleinTransporter
Er ist sehr übersichtlich und verständlich