Alfa Romeo gilt Anfang der 1980er-Jahre längst als Sanierungsfall. Das damalige Staatsunternehmen schreibt Jahr für Jahr rote Zahlen. Trotzdem tritt das Werksteam Autodelta seit 1979 in der Formel 1 an. Dort fährt das Team trotz hoher Einsätze konstant den eigenen Erwartungen hinterher.
Das Comeback mit Brabham war für Alfa Romeo eine vier Jahre währende Enttäuschung. 1976 fällt das Team ins Niemandsland der Konstrukteurswertung zurück. Erst 1978 gelingen mit Niki Lauda im Cockpit zwei Siege. Doch der breite V12 mit 120 Grad Zylinderwinkel ist nicht mehr zeitgemäß. Er steht beziehungsweise liegt der Aerodynamik im Weg. Für 1979 entsteht ein schmaler V12 mit 60 Grad Zylinderwinkel. Doch auch der neu entwickelte Motor rettet die die britisch-italienische Ehe nicht mehr. Es kommt zum Bruch. Brabham kehrt frustriert zum alten Ford Cosworth zurück. Fast schon trotzig steigt das Werksteam Autodelta selbst in die Königsklasse ein. Im Sommer 1979 kommt zweimal der inzwischen hoffnungslos veraltete Testträger Alfa Romeo 177 zum Einsatz.
Autodelta war Carlo Chiti – vielleicht war das das Problem!
Innerhalb weniger Monate entsteht bei Autodelta der neue Alfa Romeo 179. Das ist nur möglich, weil Konstrukteur Carlo Chiti bei der Mechanik auf seinen Testträger Alfa Romeo 177 zurückgreift. Unter der Motorhaube sitzt aber der neue schmale V12 des Typ 1260, ebenfalls eine Konstruktion von Carlo Chiti. Autodelta war eine One-Man-Show – alle wichtigen technischen Parameter definiert der Chef. Nur bei der Aerodynamik kauft Autodelta Hilfe zu. Sie entwickelt Robert Choulet bei der von Charles Deutsch gegründeten Société d’Études et de Réalisation Automobiles (SERA-CD) in Paris. Beim Großen Preis von Italien ist der erste Alfa Romeo 179 einsatzbereit. Ihn bekommt Bruno Giacomelli, der schon im Sommer zweimal für Alfa Romeo im alten Alfa Romeo 177 antrat.
Um Erfahrungen zu sammeln, setzt Autodelta parallel dazu weiter den alten Alfa Romeo 177 ein. Beim Großen Preis von Italien und dem nicht zur Weltmeisterschaft zählenden „Dino Ferrari Grand Prix“ darf Vittorio Brambilla den ursprünglichen Testträger ausführen. Der Grand Prix-Sieger (Österreich 1975 mit einem March) kennt das Auto gut. Denn Brambilla war seit zwei Jahren Testfahrer für Alfa Romeo. Der Italiener qualifiziert den Alfa Romeo bei beiden Rennen und sammelt so weitere „Testkilometer“ für seinen Arbeitgeber. Dennoch dürfte der Erkenntnisgewinn angesichts der Tatsache, dass der 177 noch den alten flachen V12 nutzt, gering gewesen sein. Erst beim Saisonfinale in Watkins Glen sitzen beide Piloten im neuen Alfa Romeo 179.
Alfa Romeo und Autodelta investieren für das Comeback viel
Zur Saison 1980 schreibt sich Autodelta mit zwei Fahrzeugen in die Weltmeisterschaft ein. Bruno Giacomelli bleibt an Bord. Der Rennfahrer aus der Lombardei gilt als schneller und aufstrebender Nachwuchspilot. Denn Giacomelli gewann 1976 die britische Formel-3-Meisterschaft. Zwei Jahre später holt der Italiener auch in der Formel-2-Europameisterschaft den Titel. Zudem ist die Verpflichtung finanziell lukrativ. Denn der Tabak-Multi Philip Morris fördert die Karriere des in Italien beliebten Rennfahrers. Das bringt die Zigarettenmarke Marlboro auf die Werkswagen von Alfa Romeo. Im anderen Cockpit setzt Carlo Chitti auf Erfahrung und verpflichtet Patrick Depailler. Der französische Rennfahrer gewann mit Tyrrell und Ligier bereits zwei Grand Prix.
Doch noch viel wichtiger ist, dass Depailler als herausragender Testpilot gilt. Alle in der Szene wissen, wie gut der Mittdreißiger Autos entwickeln kann. Zudem brennt der Franzose nach seinem schweren Unfall beim Drachenfliegen, der seine Karriere Pfingsten 1979 jäh unterbrach, auf ein Comeback. Dafür nimmt Alfa Romeo in Kauf, dass Depailler eine spezielle Bremsanlage benötigt, um überhaupt fahren zu können. Der Start in die Saison 1980 verläuft hoffnungsvoll. Schon beim ersten Saisonrennen in Argentinien holt Giacomelli als Fünfter zwei WM-Punkte. In den folgenden Rennen qualifizieren sich beide Piloten regelmäßig in den Top 10. In Long Beach nimmt Depailler das Rennen sogar vom dritten Startplatz auf.
Die Katastrophe von Hockenheim kostet Patrick Depailler das Leben!
Doch in den Rennen sieht es weniger gut aus. Immer wieder stoppen Defekte im Motorumfeld den Vorwärtsdrang der Piloten. Alfa Romeo und Autodelta arbeiten hart, um die Performance zu verbessern. Damals gab es vor allen Grand Prix offizielle Testfahrten auf den anstehenden Grand Prix-Rennstrecken. Daran nimmt auch Autodelta als Werksteam von Alfa Romeo regelmäßig teil. Am 1. August 1980 schlägt dabei das Schicksal erbarmungslos zu. Bei Testfahrten auf dem Hockenheimring vor dem Großen Preis von Deutschland verunglückt Patrick Depailler tödlich. Die Ursache des Unfalls in der Ostkurve des alten Hockenheimrings wird nie vollständig aufgeklärt. Die Unfallaufnahme offenbart am Eingang der schnellen Ostkurve Schleifspuren.
Möglicherweise brach am Alfa Romeo 179 ein Querlenker. Denkbar ist auch, dass eine der damals zum Aerodynamik-Konzept der Rennwagen gehören „Schürzen“ abriß. Wenn das passiert, dann plötzlich und unkontrolliert Luft unter den Rennwagen. Das kann einen Rennwagen über die Leitplanken katapultieren. Was auch passierte, Depailler hatte keine Chance und zog sich bei dem Unfall tödliche Kopfverletzungen zu. Mit dem Tod von Patrick Depailler verliert das Team seinen Leader. Für zwei Renen übernimmt Vittorio Brambilla das Cockpit. Doch der „Gorilla von Monza“ ist nur eine Übergangslösung. Denn Brambilla hängt nach dem Großen Preis von Italien in Imola seinen Helm an den Nagel.
Mario Andretti wird Pilot bei Alfa Romeo
Für die beiden letzten Saisonrennen übernimmt mit dem ehemaligen Kart-Weltmeister Andrea de Cesaris ein Nachwuchs-Pilot das Cockpit. Das gefällt auch Sponsor Philip Morris, der die Karriere des Römers förderte. Trotzdem bleibt der tödliche Unfall von Teamleader Patrick Depailler ein Rückschlag. Denn mit dem schnellen Franzosen verliert das Team einen herausragenden Entwickler. Teamchef Carlo Chiti will mit aller Macht ins Vorderfeld zurückkehren. Chiti weiß, dass für die Rückkehr an die Spitze der Formel 1 Erfahrung im Cockpit notwendig ist. Deshalb überzeugt der füllige Teamchef die Bosse in Mailand von der Verpflichtung eines Spitzenfahrers.
Die Wahl fällt auf Mario Andretti. Denn der Weltmeister des Jahres 1978 hat die Lust verloren, weiter mit Lotus hinterherzufahren. Die Offerte von Alfa Romeo klingt für den US-Amerikaner mit italienischen Wurzeln verlockend. Endlich sitzt der 12-fache Grand-Prix-Sieger wieder in einem Werkswagen. Doch der Rennwagen von Alfa Romeo erfüllt die Erwartungen des Ausnahmekönners nicht. Denn zum Beginn der Saison 1981 verbot die FISA die seitlichen Schürzen. Zudem schrieb sie eine Bodenfreiheit von sechs Zentimetern, um den Ground-Effekt und damit die Kurvengeschwindigkeiten zu beschneiden. Die Regelhütern wollten verhindern, dass es zu weiteren spektakulären Unfällen mit Autos, die wie Raketen abheben, kommt.
Carlo Chiti will zu viel!
Autodelta verzichtet trotz der einschneidenden Regeländerungen darauf, ein völlig neues Fahrzeug zu konstruieren. Stattdessen paßt Autodelta „nur“ den bisherigen Rennwagen an die neuen Regeln an. Der „neue“ 179C senkt sich beim Fahren ab und erfüllt – wie die Konkurrenz – die neuen Vorgaben zur Bodenfreiheit nur im Stand. Beim Tricksen war Autodelta offensichtlich auf der Höhe der Zeit. Beim Saisonauftakt in Long Beach qualifizieren sich die Werksfahrer Mario Andretti und Bruno Giacomelli auf den Startplätzen sechs und neun. Während Giacomelli im Rennen nach einer Kollision ausscheidet, fährt Andretti als Vierter ins Ziel. Auch bei den nächsten Rennen zeigt sich immer wieder, dass der Alfa Romeo 179C durchaus Potenzial hat.
Allerdings bleibt der Wagen trotz der Überarbeitung defektanfällig. Mehrfach fallen die Piloten in aussichtsreicher Position aus. Zudem verzettelt sich Autodelta. Denn Carlo Chiti kämpft an allen Fronten. Der füllige Teamchef und Chef-Konstrukteur überarbeitet nochmals sein gesamtes Paket. Im Sommer 1981 setzt das Team erstmals den 179D mit einem neuen markanten Frontspoiler und einer neuen Auspuffanlage ein. Parallel dazu entsteht mit dem 179F auch eine Version mit einem Chassis aus Verbundwerkstoffen. Beim Debüt stützte sich der Typ 179 noch auf ein klassisches Aluminium-Monocoque ab. Dazu entwickelt Chiti auch den V12 (Typ 1260 für 12 Zylinder mit 60 Grad Zylinderwinkel) weiter. Doch allen ist klar, dass der Saugmotor ein Auslaufmodell ist.
Das neue Auto baut Gérard Ducarouge!
Denn in der Formel 1 strebt Anfang der 1980er-Jahre der Turbomotor nun unaufhaltsam an die Spitze. Bereits seit Ende 1979 arbeitet Carlo Chiti mit drei seiner Mitarbeiter an einem eigenen Turbomotor. Bei der Vielzahl der Projekte ist es kein Wunder, dass Autodelta in der Formel 1 auch 1981 den eigenen Erwartungen hinterherfährt. Saisonhöhepunkt ist der dritte Platz von Bruno Giacomelli beim Saisonfinale auf dem Parkplatz von Las Vegas. Mario Andretti verliert zunehmend die Lust. Am Ende des Jahres erklärt der Ex-Weltmeister seinen Rücktritt aus der Königsklasse des Motorsports. Es ist wohl hauptsächlich eine Flucht vor Alfa Romeo. Denn schon im April 1982 folgt der Rücktritt vom Rücktritt. Andretti springt für den zurückgetretenen Carlos Reutemann bei Williams ein.
Trotz des offensichtlichen Misserfolgs sieht Carlo Chiti lange keinen Grund, etwas an seiner Arbeitsweise zu ändern. Doch den Konzernchefs in Mailand dämmert langsam, dass ihr teures Formel 1-Engagement Veränderungen benötigt. Die Konstruktion des neuen Rennwagens Alfa Romeo 182 übernimmt mit Gérard Ducarouge ein neuer Designer. Der Franzose baute zuvor schon bei Ligier Siegerautos und sieht im Engagement bei Alfa Romeo den nächsten Karriereschritt. Mit dem Alfa Romeo 182 stellt Ducarouge ein solides Fahrzeug auf die Räder. Unter der langen Motorhaube sorgt zunächst weiter der bekannte V12 für Vortrieb. Doch der Start mißlingt. Denn beim Saisonauftakt Ende Januar in Südafrika ist der neue Rennwagen noch nicht fertig.
Auch der Alfa Romeo 182 ist ein schnelles Auto!
So sitzen die Piloten Andrea de Cesaris und Bruno Giacomelli zunächst im alten 179D. Erst beim zweiten Saisonrennen gut zwei Monate später in Brasilien ist der neue Rennwagen einsatzbereit. Der Alfa Romeo 182 verfügt über ein modernes Kohlefaser-Chassis. Dadurch konnte Designer Gérard Ducarouge das Gewicht des Fahrzeugs im Vergleich zum Vorgänger deutlich absenken. Zusammen mit dem vermutlich stärksten Saugmotor dieser Motoren-Epoche sind das grundsätzlich gute Voraussetzungen für Erfolg. Schon beim zweiten Einsatz des neuen Rennwagens in den Straßen von Long Beach geht Andrea de Cesaris vom besten Startplatz ins Rennen. Beim Rennen in Monte Carlo fährt der Italiener mit Platz drei aufs Podium. In Canada gelingt mit Platz sechs erneut ein Punktgewinn.
Doch ansonsten ist auch der neue Rennwagen von Alfa Romeo chronisch unzuverlässig. de Cesaris fällt im Laufe des Jahres zehnmal vorzeitig aus. Bruno Giacomelli kommt neunmal nicht ins Ziel. Die Defekthexe gehört auch 1982 bei Alfa Romeo zum Inventar. Parallel zu den Renneinsätzen stellt Carlo Chiti endlich den Turbomotor fertig. Doch Chiti wäre nicht Chiti, wenn sich der Ingenieur dabei für eine Standard-Lösung entschieden hätte. Denn Alfa Romeo ist der einzige Hersteller, der in der Ära der 1,5-Liter-Turbomotoren einen V8 baut. Im Training zum Großen Preis von Italien in Monza testet Andrea de Cesaris einen 182T mit dem Alfa Romeo 890T (8 Zylinder mit 90 Grad Zylinderwinkel und Turboaufladung) im Heck.
Doch Autodelta entscheidet sich, im Rennen zunächst weiter den V12 einzusetzen. Erst 1983 tritt Alfa Romeo mit dem Turbo an. Aber zuvor strukturiert der kriselnde Autobauer im Winter 1982/83 sein Formel-1-Engagement neu. An die Stelle von Autodelta tritt mit Euroracing ein neues Einsatz-Team.
Veröffentlicht in: Serie: Alfa Romeo in der Formel 1
- Alfa Romeo in der Formel 1: Osella fährt das Material auf
Anfang 1983 übernimmt Euroracing die Werkseinsätze von Alfa Romeo in der Königsklasse. Da Euroracing auf den neuen Turbo-Motor setzt, sind die bewährten Saugmotoren überflüssig. Alfa Romeo entscheidet sich, diese der Osella Squadra Corse zur Verfügung zu stellen. Es ist der Anfang einer Zusammenarbeit, die sich bis Ende 1988 fortsetzen sollte und die schließlich weiter über die Lieferung von Motoren hinausging. - Alfa Romeo in der Formel 1: Euroracing und der Turbo V8
Im Winter 1982/83 registrieren die Verantwortlichen von Alfa Romeo, dass das Werksteam in der Formel 1 den eigenen Ansprüchen konsequent hinterher fährt. Das kostet viel Geld und beschädigt den Ruf. Daher stellt sich Alfa Romeo in der Königsklasse neu auf. Die Werkeinsätze übernimmt ab sofort das zuvor in der Formel 3 erfolgreiche Team von Gianpaolo Pavanello. - Alfa Romeo in der Formel 1 – Comeback bei Brabham
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