Rennsport-Geschichten

Aurora F1 Series – die britische Formel 1 Meisterschaft

Von 1978 bis 1982 gab es in Großbritannien eine nationale Formel-1-Meisterschaft. Dank ihres Hauptsponsors hieß sie zeitweilig Aurora F1 Series. Die Serie bot in der WM gescheiterten Piloten und Team eine zweite Chance.

Logo der Aurora F1 Series, die offiziell Aurora AFX British Formula 1 Championship hieß.
Logo der Aurora AFX British Formula 1 Championshop

Heute ist die Formel 1 eine geschlossene Gesellschaft. Sei ein paar Jahren tritt sie zu 21 Rennen an. Daneben bewegen die Teams ihre Rennwagen allenfalls noch bei ausgewählten Test- und Demofahrten. Nach dem Ende der Saison fahren die ausrangierten Rennwagen in Museum oder auf Werbetour. Wobei die Team ihnen oft das Kleid ihrer Nachfolger spendieren, um die aktuellen Sponsoren ins rechte Licht zu setzen.

Der letzte Rückzugsort für eine artgerechte Haltung ist die Boss GP. Doch mit Ausnahme eines 2011er Williams FW33 sind die Formel-1-Rennwagen in dieser Serie mindestens zehn Jahre alt. Denn F1-Teams und F1-Motorenhersteller haben eine teilweise paranoide Angst vor Knowhow-Verlust. Sie motten ihre Geräte lieber ein, als sie Dritten zu überlassen. Außer bei Cosworth ist praktisch kein 2,4 Liter-Aggregat ausgelaufenen V8-Generation zu bekommen.

Doch selbst mit einem Motor von Cosworth sind die Kosten, einen modernen Formel-1-Rennwagen zu bewegen, längst absurd. Daher ist es heute wohl undenkbar, dass halbwegs aktuelle Formel-1-Rennwagen in einer anderen Meisterschaft zum Einsatz kommen. In den 1970er- und 1980er-Jahren war das anders. In Großbritannien gab es sogar eine eigene Formel-1-Meisterschaft.

Formel 1 hat in Großbritannien Tradition

Auf der britischen Insel hat die Durchführung von Formel 1 Rennen, die nicht zur Weltmeisterschaft gehörten, eine lange Tradition. Schon in den 1950er-Jahren gab es in Großbritannien für Formel-1-Rennwagen den Gold Cup in Oulton Park und die BRDC International Trophy in Silverstone – beides Rennen ohne WM-Prädikat. Legendär ist auch das Race of Champions. Es fand 1965 bis 1983 im britischen Brands Hatch statt und lies F1-Stars und ihre Autos abseits der WM um Preisgeld fahren.

Rennen abseits der Weltmeisterschaft boten den Teams immer eine gute Gelegenheit, um ihre Konstruktionen unter Wettbewerbsbedingungen zu testen. Zudem konnten hier Nachwuchsfahrer beweisen, dass sie mit den schnellen Rennwagen der Formel 1 umgehen konnten. Teilweise entstand rund um diese Rennen ein attraktiver Zweitmarkt. Auf diesem konnte die WM-Teams ihre ausrangierten Chassis versilbern.

England als Heimat der Garagisten

Denn bis in die frühen 1980er-Jahre war die Konstruktion eines Rennwagens für die Formel 1 eine vergleichsweise einfache Geschichte. Bei Cosworth gab es den heute legendären DFV. Der Getriebebauer Hewland lieferte das passende Getriebe. Auch die Bremsen und viele weitere Teile gab es quasi von der Stange. Damit „reduzierte“ sich die Aufgabe eines Rennteams auf den Chassisbau und den Einsatz.

Kein Wunder, dass Enzio Ferrari die zahlreichen britischen Formel-1-Teams gern als „englische Garagisten“ bezeichnete. Einige von ihnen stiegen im Laufe der Zeit zu den Stars der Szene auf. Teams wie Brabham, McLaren oder besonders Williams begannen unter teilweise schwierigen Bedingungen ihre Laufbahn und fuhren später zum WM-Titel. Doch sie blieben eher die Ausnahme. Denn nicht jedem war dieser Aufstieg gegönnt.

Kleine Teams wie LEC (1973 und 1977 siebenmal am Start), Token (1974 dreimal am Start) oder Chris Amon Racing (1974 viermal genannt) versuchten es genauso mit einem eigenen Auto, wie die großen Vorbilder. Doch sie scheiterten in der WM meistens recht schnell. Das Geld war schneller alle, als sich Erfolg einstellte. Ihnen Aussicht auf Erfolg war bald kein Sponsor oder Paydriver mehr bereit, sein Geld in eines dieser Teams zu investieren.

Bernie Ecclestone legte den Markt der Kundenfahrzeuge trocken

Zeitweilig war es einfacher, mit einem gebrauchten Chassis aus der Werkstatt eines der großen Teams sein Glück zu versuchen. Besonders Brabham aber auch Lotus versorgten immer wieder kleinere Teams mit den notwendigen Chassis. Doch Bernie Ecclestone, der ironischerweise das Brabham Team kaufte, verbannte die Kundenfahrzeuge aus der Formel 1 Weltmeisterschaft.

In der zweiten Hälfte der 1970er-Jahre begann der Aufstieg des kleinen Briten vom Brabham-Besitzer zum Sprecher der Teamvereinigung FOCA. Etwas zeitgleich verschwanden die Kundenautos aus der Königsklasse des Motorsports. Der Verdacht liegt nahe, dass Bernie Ecclestone den Kuchen nicht mit zu vielen anderen Teams teilen wollte.

Ecclestone wusste, dass jede Pleite eines Teams negativ für das Image der gesamten Formel 1 waren. Mit einer Beschränkung auf „echte“ Konstrukteure fand der pfiffige Brite ein geeignetes Mittel, um die Exklusivität seines Produkts „Formel 1“ und damit den Marktwert zu verbessern. Ecclestone garantierte TV-Anstalten und Sponsoren Stabilität und eine bestimmte Anzahl von Fahrzeugen. Das zahlte sich schnell aus.

In Großbritannien entsteht ein neuer Markt

Ein weiterer Aspekt, der das Entstehen einer nationalen Formel 1 Meisterschaft in Großbritannien förderte, waren die zahlreichen F1-tauglichen Rennstrecken auf der britischen Insel. Nicht nur die Grand Prix Strecken von Silverstone, Brand Hatch und Donnington, sondern auch Mallory Park, Snetterton, Thruxton oder Oulton Park waren Ende der 1970er-Jahre geeignet, um mit F1-Boliden Rennen zu fahren.

Besonders in Brand Hatch setzen die Verantwortlichen auf pralle Preisgeldtöpfe, um Teams und Rennfahrer anzulocken. Sie wussten, dass die großen Namen das Publikum aus dem nahen London anzieht. Legendär das Rothmans 50.000 im Sommer 1972. Mit einem Preisgeld in Höhe von £50.000 überstieg die Börse des Rennens, die der meisten Grand Prix dieser Zeit deutlich. Emerson Fittipaldi fuhr zum Sieg.

Schon beim Rothmans 50.000 traten Formel-1-Rennwagen in einem Feld mit Rennwagen der Formel 2 beziehungsweise der Formel Atlantic und der Formel 5000 an. Dem Italiener Mario Casoni gelang sogar mit einem Lola T280 Sportwagen der Sprung ins Starterfeld. Als die Formel 5000 Serie in Großbritannien Mitte der 1970er-Jahre schwächelte, erinnerten sich die Verantwortlichen an dieses Konzept.

Aus der Formel 5000 wird auf der Insel die Formel 1

1976 wurde aus der nationalen Formel 5000 Meisterschaft die Shellsport International Series. Auch in dieser Serie durften wieder Formel 1, Formel 2, Formel Atlantic und Formel 5000 Fahrzeuge gemeinsam rennen. Den ersten Titel sicherte sich David Purley in einem Chevron B30 aus der Formel 5000. Wobei Purley auf einen von Cosworth ursprünglich für den Capri gebauten 3,4-Liter V6-Motor vertraute. Schon ein Jahr später war ein Formel 5000 in der Shellsport International Series kein siegfähiges Material mehr.

Die Siege 1977 holten F1-Rennwagen von Lyncar (1974/75 einmal in der WM am Start), March, Penske, Surtess und McLaren. Nur in Thruxton konnte sich Tony Rouff mit dem Ralt RT1 aus der Formel 2 durchsetzen. Den Titel gewann Tony Trimmer im Surtess TS19 aus der Königsklasse. Kein Wunder, dass aus der Shellsport International Series schon 1978 die Shellsport F1 Series wurde. Die Namensänderung unterstrich, dass hier jetzt hauptsächlich F1-Rennwagen rannten.

Nur im Einzelfall füllten noch Formel-2-Boliden das Feld auf. Tony Trimmer „verteidigte“ 1978 seinen Titel. Wobei der Brite diesmal mit einem McLaren M23 an den Start ging. Mit acht Podiumsplatzierungen und vier Siegen fuhr Trimmer überlegen zum Titel. Trotz dieser Erfolge gelang es Trimmer beim Heimrennen in Silverstone nicht, sich für den WM-Lauf zu qualifizieren.

Britische Meisterschaft mit Rennen auf dem Kontinent

Bemerkenswert, dass die britische Formel-1-Meisterschaft im Mai 1978 den Sprung über den Kanal wagte. In Zandvoort trat die Serie beim International Whitsuntide Race an. 1979 wurde der Kunststoff-Hersteller Aurora Hauptsponsor der Serie. Passend dazu trat die britische Formel-1-Meisterschaft jetzt unter dem Namen Aurora F1 Series an. Mit Rennen in Zolder, Zandvoort und Nogaro fanden 1979 sogar drei der 15 Saisonrennen auf dem Kontinent statt.

Den Titel der Aurora F1 Series 1979 sicherte sich Rupert Keegan. Der Sohn eines Großbäckers setzte einen Arrows A1 ein und gewann fünf Rennen. Das langte, um sich den Titel vor dem Iren David Kennedy im Wolf WR4 und Emilio de Villota im Lotus 78 zu sichern. Auch dank seines Titels in der Aurora F1 Series gelang Rupert Keegan 1980 in einem Kunden-Williams ein (wenn auch kurzes) Comeback in der Formel 1 Weltmeisterschaft.

Nachfolger von Keegan als Titelträger der Aurora F1 Series wurde Emilio de Villota. Der Spanier trat 1980 mit einem von RAM eingesetzten Williams-Cosworth FW07 an. Nur beim Rennen Thruxton saß de Villota in einem Fittipaldi F5A. Der Williams war schon auf dem Weg nach Spanien, um in den Händen von de Villota vier Tage später am WM-Lauf teilnehmen. Es war der Höhepunkt des Streits zwischen FOCA und FISA.

Die Werksteams von Ferrari, Renault und Alfa Romeo verzichteten auf den Start. Emilio de Villota gelingt der Sprung ins Starterfeld. Doch als die führenden Carlos Reutemann und Jacques Laffite zur Überrundung ansetzen, ist der Vater der 2013 verstorbenen María de Villota so langsam, dass es zu einem Auffahrunfall kommt. Laffite verschätzt sich und rumpelt ins Heck des Williams. Dadurch wird de Villota angeschoben und reißt prompt auch Reutemann ins Aus.

Die Leistungen der Titelträger Trimmer, Keegan und de Villota in der WM lassen Zweifel am Wert der Meisterschaft aufkommen. Immerhin schreibt die Meisterschaft auch Geschichte, weil hier Desiré Wilson im April 1980 als bisher einzige Frau ein Formel 1 Rennen gewinnt. Die Südafrikanerin entscheidet mit einem Wolf-Cosworth WR4 die Evening News Trophy in Brands Hatch für sich. Doch drei Monate später kann sich Wilson trotzdem an gleicher Stelle mit einem einem jüngeren Williams FW07 nicht für das WM-Rennen qualifizieren.

Der Anfang vom Ende der britischen Meisterschaft

Doch die Zeiten ändern sich. Denn schon 1980 schrumpfte der Rennkalender der Aurora F1 Series auf „nur“ noch zwölf Saisonrennen zusammen. Bis auf den Monza Lottery Grand Prix beschränkte sich die Serie auf Rennen auf den britischen Inseln. Als am Ende des Jahres Sponsor Aurora aussteigt, kommt die Serie ins Stocken. Schon 1981 schrieb die Motor Sports Association (MSA) keine nationale Formel-1-Meisterschaft mehr aus.

Ein Jahr später kommt nochmal es zu einem Comeback. Doch der Kalender umfasst 1982 nur fünf (magere) Saisonrennen in Oulton Park, Thruxton, Donington und Brands Hatch (2x). Die Serie lockt nur acht Teams mit zehn Autos an. Den Titel gewinnt Jim Crawford mit einem Ensign N180. Crawford, der sich anschließend mit mäßigem Erfolg in Indianapolis versucht, ist der letzte Titelträger. Eine weitere britische F1-Meisterschaft gibt es nicht.

Im April 1983 endet auch das Kapitel der F1-Rennen ohne WM-Status. Keke Rosberg entscheidet in Brand Hatch das Race of Champions für sich. Am Start sind mit einer Ausnahme nur WM-Teams. Sogar Ferrari nimmt mit Rene Arnoux an dem Rennen teil. Nur das keine Spirit-Team war in der WM zu diesem Zeitpunkt noch unbekannt. Spirit nutzte das Race of Champions, um erstmals den Honda-Turbo in einem Rennen auszuprobieren.

Titelträger in der britischen Formel 1 Meisterschaft

JahrGesamtsiegerFahrzeug / Motor
1976David Purley – Shellsport International SeriesChevron-Cosworth B30 (3,4 Liter V6 – F5000)
1977Tony Trimmer – Shellsport International SeriesSurtees-Cosworth TS19 (F1)
1978Tony Trimmer – Shellsport F1 SeriesMcLaren M23-Cosworth (F1)
1979Rupert Keegan – Aurora F1Arrows A1 Cosworth (F1)
1980Emilio de Villota – Aurora F1Williams FW07-Cosworth (F1)
1981keine Meisterschaft 
1982Jim Crawford – British F1 SeriesEnsign N180-Cosworth (F1)

Was bleibt von der Aurora F1 Series?

Keiner der britischen Formel-1-Meister fuhr nach seinem Titelgewinn zu größeren internationalen Erfolgen. Aber das ist auch deshalb nicht verwunderlich, weil die Serie von Anfang an für viele Piloten die letzte Möglichkeit war, doch noch den eigenen Formel-1-Traum zu verwirklichen. Die Mehrzahl der Fahrer galt in der Weltmeisterschaft bereits als gescheitert.

Das gilt – mit Einschränkungen – auch für die Fahrzeuge und Teams. Die meisten Starter fuhren alte WM-Autos auf. Am Start standen Grand Prix Sieger wie der McLaren M23, der Lotus 78 oder der Williams FW07. Dazu gab es ehemalige Grand-Prix-Fahrzeuge von Arrows, Fittipaldi, Surtess und Wolf. Alle eint, in der WM lagen ihre besten Zeiten längst hinter ihnen.

Das gilt noch deutlicher für die beiden F1-Boliden, die nur in der Aurora F1 Series und nie in der WM antraten. Der 1978 von Derek Bennett konstruierte Chevron B41 war ohne Ground-Effekt in der WM chancenlos. Der B41 rannte nur in der britischen Serie. Das Gleiche gilt für den March 781, den der Rennwagenbauer aus Bicester vom Formel 2 Typ 782 ableitete. Der für britische Meisterschaft geplante BRM 230 wurde – ohne das Geld von Alfred Owen – gar nicht erst verwirklicht.

Auch Teams nutzten die zweite Chance kaum

RAM versuchte sich ab 1976 einige Male mit Kundenfahrzeugen erfolglos in der WM. Doch in der Aurora F1 Series gewann das Team 1980 mit Emilio de Villota den Titel. Schon im gleichen Jahr brachte das Team von Mike Ralph und John Macdonald seine Vorjahres-Williams bei einigen WM-Rennen an den Start. Ein Jahr später trat RAM unter dem Namen March Grand Prix in der Weltmeisterschaft an. Bis Ende 1985 hielt sich das Team, für das zeitweise auch Manfred Winkelhock fuhr, in der WM.

Ensign (WM ab 1973) und Theodore (WM ab 1976) nutzten die britische Serie, um ihre Eigenkonstruktionen parallel zu den WM-Einsätzen weiterzuentwickeln. Wobei ein angenehmer Nebeneffekt war, dass die Rennen in der britischen F1-Serie durchaus auch etwas Geld in die Kassen spülten. BRM versuchte 1978 in der britischen Meisterschaft einen Neustart.

Der scheiterte nach nur einem Jahr. Trotzdem tauchte das Material von BRM ab 1980 unter der Leitung von Eddie Jordan nochmals in der britischen Meisterschaft auf. Auch John Surtees wechselte, als das Geld nicht mehr für die WM reichte, mit seinem Team in die britische Meisterschaft. Doch wie schon bei BRM führte der Start in der Aurora F1 Series auch für das Team Surtees nicht zum Comeback auf der WM-Bühne.


Infos zum Titelbild dieses Beitrags:
Logo der Aurora AFX British Formula 1 Championshop, wie die Aurora F1 Series offiziell hieß.

Foto: Tom Schwede

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Themen in diesem Artikel:

Als Kind der 1970er-Jahre hatte Tom das große Vergnügen, in einem ausgesprochen automobilen Umfeld aufzuwachsen. Das war der optimale Nährboden, um heute über Autos zu schreiben und regelmäßig am Mikrofon über Autos zu sprechen. Denn Tom Schwede moderiert seit 2010 bei großen Oldtimer- und Klassik-Veranstaltungen in Deutschland. So ist Tom unter anderem bei den Classic Days (früher Schloß Dyck, heute in Düsseldorf) oder dem 1.000 Kilometer-Rennen am Nürburgring zu hören. Wenn Sie also einen Moderator oder Streckensprecher für Ihre Oldtimer-Rallye oder Ihr Oldtimer-Treffen suchen, dann sind Sie bei Tom definitiv richtig!