1979 baute Harald Ertl mit Hilfe von Zakspeed einen Lotus Europa Gruppe 5. Dabei nutzte der geschäftstüchtige Rennfahrer die Möglichkeiten der Gruppe 5 voll aus. Doch anders als andere Projekte des Österreichers war der Lotus keine Erfolgsgeschichte.
Die Gruppe 5 brachte einige interessante Rennwagen hervor. Denn das Prinzip der ab 1976 gültigen Regeln war einfach. Von einem Serienfahrzeug mussten praktisch nur der Radstand und das Greenhouse stammen. Was unterhalt der Schulterlinie oder im Motorraum passiert, das war egal und ordnete sich vollständig dem Rennerfolg unter. Die Porsche 935 von Joest und Kremer oder die Ford Capri von Zakspeed kennt bis heute fast jeder Fan des Rennsports. Auch an die BMW 320 oder den Lancia Beta Montecarlo sind die Erinnerungen in der Regel noch nicht verschwunden. Die Toyota Celica von Schnitzer oder der Lotus Europa Gruppe 5 sind dagegen eher Fälle für Kenner.
Denn während die Celica immerhin eine Saison in der damaligen Deutschen Rennsport-Meisterschaft (DRM) rannte, trat der Lotus insgesamt nur bei drei Rennen an. Hinter dem ungewöhnlichen Rennwagen stand Harald Ertl. Ertl war Österreicher, lebte in Mannheim, trat mit deutscher Lizenz an und galt als äußerst geschäftstüchtig. Der gelernte Journalist, der einst das gleiche Internat wie Jochen Rindt besuchte, war ein Meister der Selbstvermarktung. Um mit dem Einsatz und der Vermietung eines eigenen Rennwagens in der DRM Geld zu verdienen, baute Ertl den Lotus Europa Gruppe 5. Grundlage des ungewöhnlichen Rennwagens war das Chassis eines Sportwagens von TOJ (Team Obermoser Jörg).
Grundlage des Lotus Europa Gruppe 5 war ein Chassis von TOJ!
Dessen Chef Jörg Obermoser bot Ende der 1970er-Jahre auch Zweiliter-Sportwagen an. Ertl orderte ein TOJ-Chassis, um es bei Zakspeed mit einem Turbomotor bestücken zu lassen. Obermoser lieferte für das Projekt ein speziell angepasstes Monocoque, das Harald Ertl mit der Europa-Karosserie bestückte. Als amtierender Meister der DRM wechselte Ertl Anfang 1979 von BMW zu Ford. Einsatzteam der Kölner war Zakspeed. Insofern war die Wahl des Motors fast schon eine logische Wahl. Für seinen Lotus nutzte Ertl die 1,4-Liter-Variante des Zakspeed-Vierzylinders, der sonst den Capri in der kleinen Division der DRM antrieb. Die liberalen Regeln der Gruppe 5 ermöglichten den Einsatz dieses Triebwerks auch im Lotus.
Ein Motor mit mehr Hubraum hätte das Mindestgewicht gesteigert. Da hätte das leichte Sportwagen-Chassis Zusatzgewicht an Bord nehmen müssen. Deshalb wählte Harald Ertl nicht die 1,7 Liter große Variante des Zakspeed-Motors. Der Kamerahersteller Minolta unterstützte das Projekt als Sportsponsor. In der damaligen Motorsportpresse hieß es, dass dafür 50.000 DM auf das Konto von Harald Ertl flossen. Insgesamt veranschlagte der Österreicher aus Mannheim 200.000 DM für den Aufbau und den Einsatz des Fahrzeugs. Dieses Geld plante Ertl mit Preisgeldern, Antrittsgagen und Erlösen aus der Vermietung des Rennwagens wieder einzuspielen.
Sein Debüt feierte der Lotus Europa Gruppe 5 im Juni 1979 beim 1.000 Kilometer Rennen auf der Nordschleife des Nürburgrings. Dort teilte sich Ertl das Cockpit mit Harald Grohs und Hans Heyer. Im Training sprang Platz 19 heraus. Der Lotus Europa umrundete die Strecke in 8:49 Minuten. Das war mehr als eine Minute langsamer als das Duo Rolf Stommelen und Reinhold Joest, denen mit ihrem Porsche 908/3 Turbo eine Zeit von 7:32 Minuten gelang. Der schnellste Capri von Jan Lammers und Hans Heyer benötigte 7:54 Minuten. Wobei dieser mit dem „großen“ Motor unterwegs war. Trotzdem war das sicherlich nicht das, was sich Harald Ertl von seinem Lotus Europa, der im Rennen zudem früh ausfiel, versprach.
Doch Harald Ertl gab noch nicht auf!
Nach dem Rennen auf der Nordschleife überarbeitete der Österreicher seinen Rennwagen. Beim nächsten Auftritt trug der Rennwagen den Heckspoiler, der bis heute am Auto ist. Harald Ertl setzte das Auto noch zweimal in eigener Regie ein. Überliefert sind Fotos, die den Lotus Europa Gruppe 5 im Juni 1979 am Norisring in Nürnberg zeigen. Zudem trat der Österreicher Anfang September 1979 bei einem Interserie-Rennen in Hockenheim an. Doch im Feld der Sportwagen und Eigenbauten sprang beim ADAC Hessen Cup „nur“ ein sechster Platz heraus. Das war sicherlich auch nicht das Ergebnis, dass Ertl von seinem Lotus erwartete.
Trotzdem fand der geschäftstüchtige Rennfahrer wenige Wochen später in Mario Ketterer und Immo Klein Racing zahlende Kunden, die den Lotus Europa Gruppe 5 am Nürburgring einsetzten. Das spülte, wenn der zeitgenössischen Literatur an dieser Stelle zu trauen ist, weitere 10.000 DM in die Kasse von Ertl. Doch die Investition zahlte sich für Ketterer und Immo Klein Racing letztlich nicht aus. Im Training zum ADAC-Supersprint, einem auf der damaligen Betonschleife des Nürburgrings ausgetragenen DRM-Lauf, hielt der Lotus noch halbwegs mit. Denn Ketterer stellte den Lotus Europa Gruppe 5 auf einen guten sechsten Startplatz – während dessen Besitzer sich im Ford Capri über die Poleposition freuen durfte. Doch im Rennen fiel Ketterer etwa zur Rennmitte aus.
Anschließend verschwand der Lotus Europa Gruppe 5 von der Rennstrecke. Sein Besitzer wandte sich anderen Projekten zu. 1982 starb Harald Ertl bei einem Flugzeugabsturz auf dem Weg nach Sylt. Damit geriet sein Lotus zunächst in Vergessenheit. 2003/2004 tauchte der ungewöhnliche Rennwagen einige Male im damaligen Orwell Super Sports Cup auf. Dann wurde es wieder still um den Rennwagen.