Rennsport-Geschichten

Kennen Sie eigentlich Ruggeri Grand Prix?

Die Formel 1 war nicht immer so perfekt, wie sie sich heute präsentiert. Früher gehörten zur Königsklasse des Motorsports immer auch die Bastler. Viele wollten nur dabei sein . Doch einige hatten den Mut, um neue Ideen auszuprobieren. Und wären Lotus-Gründer Colin Chapman oder Frank Williams dank ihrer Fähigkeit zur Innovation bald selbst zu gefeierten Stars wurden, verschwanden andere wie Ruggeri Grand Prix bald wieder in der Versenkung.

Ruggeri Grand Prix
Das Chassis des Ruggeri Grand Prix von 1954. Der Rennwagen wurde nie fertiggestellt. Hinter dem Chassis steht ein zweiter Motor des Teams.

Seit den späten 1960er oder frühen 1970er-Jahren gilt die britische Insel als das Mekka der Formel 1-Bastler. Doch in den Anfangstagen der Formel 1, direkt nach dem Zweiten Weltkrieg, lag das Epizentrum der Szene eher in Italien. Denn mit Alfa Romeo, Ferrari und Maserati sowie zeitweise auch Lancia kämpften die wichtigen italienischen Nobelmarken dieser Jahre um Grand Prix-Siege und Erfolge. Das sorgte fast nebenbei auch dafür, dass sich insbesondere in Norditalien einige weitere Rennteams bildeten, die teilweise sogar eigene Fahrzeuge konstruierten.

Auftritt: Emilio und Arialdo Ruggeri und die Scuderia Milano

Die Brüder Emilio und Arialdo Ruggeri tauchten bereits 1947, als der Motorsport im zerstörten Europa wieder Formen annahm, im Grand Prix Sport auf. Bei Maserati kauften sie gleich drei Maserati 4CL, um diese unter den Namen Scuderia Milano an den Start bringen. Mit Raymond Sommer, als zweifacher Le Mans Sieger einer der Stars der Szene, griff dabei sogar ein renommierter Pilot für die Scuderia Milano ins Lenkrad. Den Motor des Maserati von „Raymond Löwenherz“, wie die Fans den Franzosen wegen seiner meist beherzten Fahrweise nannten, überarbeitete Mario Speluzzi.

Speluzzi, im Hauptberuf Professor der Technischen Hochschule Mailand bestückte den Maserati-Motor mit einem von ihm konstruierten Kompressor. Auf dem Papier versprach das Vorteile, doch in der Realität blieb der Motor mit dem Zweistufengebläse hinter den Erwartungen zurück. Trotzdem wurde die Zusammenarbeit zwischen den Brüdern Ruggeri und dem Professor, der eigentlich ein Experte für Schiffsmotoren war, enger. Zum Auftakt der Formel 1-Weltmeisterschaft 1950 kauften die Brüder Ruggeri bei Maserati erneut zwei Rennwagen, deren Motoren Speluzzi überarbeitete.

Die Scuderia Milano verzettelte sich

Doch der ursprünglich bereits 1939 konstruierte Maserati 4CLT/50 erwies sich trotzdem nicht im Ansatz als konkurrenzfähig. Alfa dominierte die Rennen der Auftaktsaison. Für die Privatteams fielen allenfalls Achtungserfolge ab. Das Team wollte auch das Fahrzeug verbessern, um die Lücke zu schließen. Techniker Enrico Franchini baute an einem Wagen die Hinterachse nach dem Vorbild der schnellen Alfa Romeo und Ferrari um. Wo in den Maserati-Werkswagen eine Pendelachse für Traktion sorgte, vertraute die Scuderia Milano auf eine De-Dion-Achse.

Doch das Team war sich wohl nicht sicher, ob diese Hinterachse im Maserati wirklich einen Vorteil bringt. Denn im zweiten Rennwagen des Teams kürzte es den Radstand und konstruiert dafür eine andere Hinterradaufhängung. Erst zum vierten Saisonlauf in der Schweiz war dieser Wagen einsatzbereit. Immerhin sicherte Pilot Felice Bonetto der Scuderia Milano auf der Rennstrecke von Bremgarten mit einem fünften Platz sofort zwei WM-Punkte – obwohl dem Team während des Rennens in der Box die Tankanlage explodierte.

Unvollständiger Reihenachtzylinder von Ruggeri Grand Prix
Der (unvollständige) Reihenachtzylinder des Ruggeri Grand Prix. Konstruiert 1953/54 von Professor Speluzzi, einem Experten für Schiffsmotoren.

Bis 1953 trat die Scuderia Milano mit den beiden Maserati und wechselnden Piloten gelegentlich bei Läufen zur Formel 1 Weltmeisterschaft an. Doch so sehr sich das Team auch streckte, die Punkte vom Debüt blieben die einzigen Punkte, die das Team je einfahren konnte. Trotzdem – oder deswegen – muss irgendwann die Idee entstanden sein, einen eigenen Rennwagen zu entwickeln. Vermutlich locken die neuen und kostengünstigeren Regeln, die der Automobil-Weltverband Anfang 1954 für die Formel 1 einführte.

Professor Speluzzi konstruiert einen Formel 1 Motor

Die neuen Regeln sehen den Einsatz von 2,5-Liter großen Saugmotoren vor. Speluzzi entscheidet sich für einen luftgekühlten Reihenachtzylinder mit zwei obenliegenden Nockenwellen. Gleich acht Solex-Vergaser sollen dem Motor das zündfähige Gemisch aufbereiten. Das Ziel sind 310 PS Leistung, die bei 9.000 Umdrehungen pro Minute anliegen sollen. Offen, ob das Ziel erreicht wurde. Belegt ist aber, dass der Motor rund acht Stunden auf dem Prüfstand der Hochschule in Mailand lief.

Für den Motor konstruiert das Team auch ein „eigenes“ Chassis, das es Ruggeri Grand Prix nennt. Beim Chassis des Ruggeri Grand Prix fallen die im Vergleich zu den andern Formel 1 Rennwagen der 2,5 Liter Epoche recht kleinen Abmessungen auf. Trotzdem glaube ich nicht, dass der Ruggeri Grand Prix 1954 keine echte Neukonstruktion ist. Im Kern handelt es sich bei dem Rennwagen wohl um einen der bereits 1950 stark modifizierten Maserati des Teams.

Da war damals eine übliche Praxis, wie auch der Verbleib des Zweiten ab 1950 von der Scuderia Milano überarbeiteten Maserati dokumentiert. Denn diesen Rennwagen verkaufte Arialdo Ruggeri an den Fahrzeugbauer Arzani-Volpini. Arzani-Volpini nutzte den Maserati der Scuderia Milano für den Bau des „Arzani-Volpini Special“. Mit diesem Rennwagen verunglückte 1955 Mario Alborghetti in Pau tödlich.

Ähnlichkeit zum Bugatti 251

Trotz des Rückgriffs auf den Rahmen von Maserati verfügt der Ruggeri Grand Prix über einige interessante Details. Neben auch heute noch modern wirkenden Dreieck-Lenkern an der Vorderachse verfügt der Ruggeri Grand Prix über ein System, mit dem der Pilot während der Fahrt vom Sitz aus die Federung verstellen kann. Und mit dem hinter dem Piloten quer eingebauten Reihenachtzylinder ähnelt das Konzept des Ruggeri auffallend stark dem Bugatti 251.

Ruggeri Grand Prix
Die Position des Motors im Ruggeri Grand Prix erinnert an den Bugatti 251.

Wahrscheinlich ist auch das kein Zufall. Denn der Bugatti 251 wurde etwa zeitgleich vom Ex-Maserati Konstrukteur Gioacchino Colombo ebenfalls in Mailand entworfen. Heute ist nicht mehr aufzuklären, wer hier bei wem abgekupfert hat. Klar ist nur, während Colombos Bugatti den 251 beim Großen Preis von Frankreich 1955 tatsächlich an den Start brachte, blieb dieser Erfolg der Scuderia Milano verwehrt. Denn der Ruggeri Grand Prix blieb ohne Grand Prix-Einsatz.

Ohne Geld kein Start – das war schon 1954 so!

Den Brüder Ruggeri ging das Geld aus, bevor der Wagen fertigstellt war. Der Ruggeri Grand Prix sah nie die Rennstrecke, bekam noch nicht einmal mehr eine Karosserie. Nach der Pleite floh Arialdo Ruggeri vor den Gläubigern nach Argentinien. Graf Lurani, später Erfinder der Formel Junior, kaufte das Chassis und die beiden gebauten Motoren, zeigte aber nie ein echtes Interesse an der Fertigstellung des Rennwagens. Die Scuderia Milano und der Ruggeri Grand Prix gerieten damit in Vergessenheit.


Infos zum Titelbild dieses Beitrags:
Das Chassis des Ruggeri Grand Prix von 1954. Der Rennwagen wurde nie fertiggestellt.

Foto: Tom Schwede

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Als Kind der 1970er-Jahre hatte Tom das große Vergnügen, in einem ausgesprochen automobilen Umfeld aufzuwachsen. Das war der optimale Nährboden, um heute über Autos zu schreiben und regelmäßig am Mikrofon über Autos zu sprechen. Denn Tom Schwede moderiert seit 2010 bei großen Oldtimer- und Klassik-Veranstaltungen in Deutschland. So ist Tom unter anderem bei den Classic Days (früher Schloß Dyck, heute in Düsseldorf) oder dem 1.000 Kilometer-Rennen am Nürburgring zu hören. Wenn Sie also einen Moderator oder Streckensprecher für Ihre Oldtimer-Rallye oder Ihr Oldtimer-Treffen suchen, dann sind Sie bei Tom definitiv richtig!