Vor 40 Jahren siegte ein Mercedes-Benz 450 SLC AMG beim Großen Preis der Tourenwagen auf der Nürburgring Nordschleife. Zum Jubiläum des größten Erfolgs dieser Jahre erinnern wir an diesen Mercedes-Benz, der bereits von 1978 bis 1980 in der Tourenwagen-Europameisterschaft und in Le Mans rannte.
Im vergangenen Jahr feierte Daimler-Benz bei zahlreichen Veranstaltungen „125 Jahre Motorsport“. Strenggenommen hat diese motorsportliche Vita Lücken. Denn zeitweise saßen Rennfahrer bevorzugt auf dem Weg zum Rennen in einem Mercedes. Schließlich zog sich das Werk Ende 1955 nach der Katastrophe von Le Mans offiziell aus dem Motorsport zurück. Nur das Rallye-Programm und die Aktivitäten in der Tourenwagen-Europameisterschaft überlebten noch ein paar Jahre in der Entwicklungsabteilung. Denn bei Mercedes-Benz war Motorsport offiziell kein Thema.
AMG ist die Speerspitze auf der Rundstrecke
Doch der Bann galt nicht für Privatfahrer und Tuner. Sie brachten den Stern von Zeit zu Zeit in den Motorsport zurück. AMG, heute offizieller Bestandteil der Mercedes-Welt, wagte sich in den 1970er-Jahren auf die Rundstrecke vor. Die ehemaligen Mercedes-Mitarbeiter Hans-Werner Aufrecht und Erhard Melcher entschieden sich 1967 für die Selbstständigkeit. Schon bei der Anmeldung ihres Unternehmens AMG gaben sie als Geschäftszweck „Ingenieurbüro, Konstruktion und Versuch zur Entwicklung von Rennmotoren“ an.
1971 gelang dem jungen Unternehmen der erste Achtungserfolg. Mit der heute legendären „roten Sau“ fuhren Hans Heyer und Clemens Schickentanz beim 24-Stunden-Rennen im belgischen Spa-Francorchamps auf Platz zwei. Der AMG 300 SEL 6.8 wog zwar eine halbe Tonne mehr als die Konkurrenz. Doch die Kraft des von AMG getunten V8 von Mercedes glich das Handicap locker aus. Heyer und Schickentanz standen 430 PS Leistung zur Verfügung. Das ermöglichte einen Erfolg, der sogar Eingang in die Tagesschau fand.
In Le Mans scheiterte AMG mit dem 300 SEL 6.8
Ein Jahr später nahm AMG mit dem Fahrzeug am Vortest der 24 Stunden von Le Mans teil. Damals kehrten die Tourenwagen kurzzeitig nach Le Mans zurück. Auf das Rennen verzichtete das Team überraschend. Bus heute halten sich Gerüchte, die behaupten, dass der Start-Verzicht für AMG lukrativer als eine Teilnahme war. Denn eine Rückkehr nach Le Mans, wo Mercedes 1952 mit dem 300 SL gewann, war dann doch zu viel des Guten, munkeln sie. Gut möglich, dass das nur Gerüchte sind. Trotzdem tragen solche Geschichten oft einen wahren Kern in sich.
Während der Ölkrise 1973/1974 blieb AMG den Rundstrecken der Welt fern. Die Firma verkaufte stattdessen getunte Straßenfahrzeuge. Doch als Daimler-Benz AG im Herbst 1977 den Mercedes-Benz 450 SLC 5.0 einführte, war die Zeit für ein Motorsport-Comeback reif. Denn Daimler-Benz stellte seine V8-Motoren (M116 und M117) gerade auf Aluminium-Motorblöcke um. Dieser Motor wird später Sportwagen der Gruppe C antreiben! Doch soweit sind wir noch nicht, das sahen 1978 wohl nur kühne Optimisten voraus.
AMG wagte sich mit dem Mercedes-Benz 450 SLC in die Tourenwagen-Europameisterschaft!
Kurz zuvor kehrte Daimler-Benz offiziell auf Rallye-Pisten zurück. Damit war der Weg frei für AMG, den Mercedes-Benz 450 SLC und die Rundstrecke. Tuner AMG entschied sich für die Tourenwagen-Europameisterschaft. Die fuhr seit 1976 nach den Regeln des „Anhangs J“ im Sportgesetzbuch des internationalen Automobilverbands FIA. Die „Gruppe 2“ erforderte den Bau von 1.000 Serienfahrzeugen in zwölf Monaten. Den seit 1970 gestatteten Einsatz spezieller Zylinderköpfe (100 Stück-Regel) verbot die FIA jetzt.
Mit dieser Neufassung der Regeln verschwanden die Formel-2-Motoren mit vier Ventilen pro Zylinder aus den Tourenwagen. Der neue Mercedes-Benz 450 SLC paßte hervorragend in das neugefasste Reglement. Am 2. Januar 1978 homologierte die Daimler-Benz AG den Sportwagen offiziell in der „Gruppe 1“ und mit Sonderausstattung wie einer Trockensumpfschmierung und einer Sportbremsanlage auch in der „Gruppe 2“. AMG begann sofort mit dem Aufbau des passenden Gruppe-2-Rennwagens.
AMG stellte einen Silberpfeil auf die Räder!
Der von AMG für die Europameisterschaft aufgebaute Mercedes-Benz 450 SLC entsprach dem Zeitgeist. Denn echte Werksteams waren in der EM zu dieser Zeit unerwünscht. Die FIA wollte ein Wettrüsten der Werke verhindern. Zudem wusste sie, dass Werke kommen und gehen. Privatteams sind konstanter. AMG stellte auf Basis des Mercedes.Benz 450 SLC einen zeitgenössischen Rennwagen mit den typischen Kotflügel-Verbreiterungen der „Gruppe 2“ auf die Räder. Anfang 1978 war der neue Rennwagen einsatzbereit. Der Spirituosen-Hersteller Mampe finanzierte als Sponsor den Einsatz.
Mampe war ein Unternehmen des ehemaligen Hobby-Rennfahrers Willy Maurer. Der warb bereits zuvor bei Zakspeed für seinen Magenbitter „Halb & Halb“. Wenig später gründete Maurer ein Formel-2-Team. In dessen Autos setzte sich Stefan Bellof eindrucksvoll in Szene. Bei AMG nutzte Maurer den Mercedes-Benz 450 SLC als rollende Litfaßsäule für seinen „Lufthansa Cocktail“. Daneben klebten Lieferanten wie Castrol, Goodyear und Bilstein ihre Schriftzüge auf das Auto. Mit einer Lackierung in Silber nahm der AMG-Rennwagen das Comeback der Silberpfeile um ein paar Jahre vorweg.
375 PS bei brüllenden 6.550 Umdrehungen pro Minute
Das V8-Triebwerk leistete nach der AMG-Kraftkur 375 PS bei 6.550 Umdrehungen pro Minute. Der Tuner nutzte das bewährte Grauguss-Herz mit 4.520 Kubikzentimeter Hubraum. Denn der Alu-Motorblock mit fünf Liter Hubraum war noch nicht homologiert. Das Spitzenmodell des SLC fand zu wenige Kunden. Der Bau von Fahrzeugen nur, um sie im Sport einsetzen zu können, war in Stuttgart Ende der 1970er-Jahre noch nicht üblich. Diese Praxis folgte erst in den späten 1980er-Jahren.
Die Kraft des Motors floß im AMG-SLC über eine Dreigang-Automatik auf die Straße. AMG bot seinen Kunden zwar ein manuelles Fünfgang-Schaltgetriebe an. Dessen Einsatz war im Motorsport jedoch nicht möglich. Denn das Getriebe gab es nur bei AMG und nicht bei Mercedes. AMG kam nicht auf die notwendigen Stückzahlen, um das Fahrzeug als eigenes Modell zu homologieren. Deshalb musste auch der Rennwagen die Automatik nutzen. Das sorgte für einen schwierigen Start. Denn die Dreigang-Automatik ist ein Bremsklotz.
In Monza feierte der Mercedes-Benz 450 SLC AMG sein Debüt!
Ihre langen Schaltzeiten bremsten die Piloten Hans Heyer und Clemens Schickentanz auf der Strecke unnötig ein. Im Training am Freitag gab es zusätzlich ein Problem mit der Benzinpumpe. Auch im Zeittraining lief es nicht wie gewünscht. Die Bremse machte schlapp. Alles zusammen sorgte für ein ernüchterndes Ergebnis. Denn trotz des stärksten Motors im Feld beendete das Team das Training nur als Fünfter. Der SLC mußte das Rennen sogar hinter dem schnellsten Zwei-Liter-Tourenwagen aufnehmen. Von Startplatz eins ging ein alter BMW 3.0 CSL ins Rennen. Das Modell lief bei BMW nicht mal mehr vom Band. Die Rennstrecke von Monza umrundete der Oldtimer satte neun Sekunden pro Runde schneller als der Mercedes!
Im Rennen lief es etwas besser. Denn schnellere Autos wie der Ford Escort II RS von Zakspeed fielen aus. Der Mercedes war standfest und kam nach vier Stunden als Dritter ins Ziel. Das Rennen in Mugello ließ AMG aus. Dem Team war klar, das Auto benötigt eine bessere Bremsanlage. Erst Ende April kehrte der Rennwagen am Salzburgring in die Tourenwagen-EM zurück. Erneut gelag ein dritter Platz. Die Läufe in Jarama, Estoril, Zeltweg und Brünn ließ das Team wieder aus. Stattdessen sollte der Mercedes in Le Mans rennen. Dort musste der Tourenwagen in der „Gruppe 5“ der Spezial-Tourenwagen antreten. Das ermöglichte immerhin den Einsatz des eigenen Fünfgang-Schaltgetriebes. Trotzdem verpasste der Mercedes-Benz 450 SLC AMG in Le Mans den Sprung ins Feld.
Zakspeed half AMG
Für die Tourenwagen-Europameisterschaft baute AMG ein neues Fahrzeug auf. Es wurde nur dank der Hilfe von Zakspeed kurz vor dem Großen Preis der Tourenwagen fertig. Im Training brach auf der Nordschleife des Nürburgrings der Stabilisator. Beim Rennen sorgte eine defekte Benzinpumpe für ein vorzeitiges Aus. In Zandvoort stoppte ein Defekt der Zündung den Mercedes-Benz 450 SLC AMG erneut vorzeitig. Auch in Silverstone hielt der Motor nicht durch. Immerhin schnupperten Clemens Schickentanz und Brian Redman, den AMG für dieses Rennen verpflichtete, erstmals Führungsluft. Beim Saisonfinale in Zolder kehrte Hans Heyer ins Cockpit zurück. Erneut fuhr der Mercedes an die Spitze, um dann in Führung liegend auszufallen.
Erst 1980 kehrte der Mercedes-Benz 450 SLC AMG zurück auf die Strecke
Ende 1978 beendete Sponsor Mampe seine Unterstützung. Allein konnte AMG den Einsatz nicht stemmen. Auf Sparflamme kochte das Team das Projekt in Affalterbach weiter. Die Mannschaft wußte, dass sie sich 1978 unter Wert verkauft hatte. Das nagte an auch der Teamführung. Nach einem Jahr Pause kehrte AMG daher auch ohne neuen Hauptsponsor zumindest sporadisch in die Tourenwagen-Europameisterschaft zurück. Erneut an Bord war Clemens Schickentanz. Denn Hans Heyer drehte inzwischen bei Lancia am Lenkrad. Als Ersatz für den Kieswerk-Besitzer aus Wegberg stieg Jörg Denzel in den Mercedes.
Beim ersten Saisonlauf in Monza sicherte sich das neu formierte Team auf Anhieb Platz zwei. Wobei half, dass der BMW 3.0 CSL zwischenzeitlich aufs Abstellgleis fahren musste. Der Nachfolger BMW 635 CSi fuhr noch nicht auf dem Niveau seines Vorgängers. Außerdem war der Mercedes schneller als beim Debüt. Monza umrundete der Mercedes-Benz 450 SLC AMG jetzt fünf Sekunden fixer als noch vor zwei Jahren. AMG verzichtete auf die nächsten Rennen. Beim Comeback am Salzburgring verhinderte eine defekte Zylinderkopfdichtung im Warm-up den Start. Anschließend ließ AMG erneut einige Rennen aus.
Beim Comeback im Nürburgring passte alles!
Erst am Nürburgring kehrte der Mercedes-Benz 450 SLC AMG in die Tourenwagen-EM zurück. Im Training sicherte sich das Sportcoupé hinter drei BMW 320 Startplatz vier. Im Rennen schlug die Stunde des Mercedes. Denn die schnellen BMW mit Profis wie Helmut Kelleners, Dieter Quester, Armin Hahne oder Hans-Joachim Stuck im Cockpit fielen aus. Der Mercedes übernahm die Spitze. Eine Runde vor Schluss stoppte Fahrer Jörg Denzel ungeplant an der Box, um Hans-Werner Aufrecht zu bitten, den Champagner zu kühlen. Der Teamchef war jetzt kurz vor dem Kollaps. Der Pilot kehrte auf die Strecke zurück, um knapp zehn Minuten später trotz des Stopps als Erster die Ziellinie zu überqueren.
Es bliebt der einzige Sieg des Mercedes-Benz 450 SLC AMG in der Tourenwagen-EM. Denn AMG zog sich nach dem Erfolg endgültig aus der Europameisterschaft zurück. Der SLC fuhr so auf dem Gipfel seiner Rundstrecken-Karriere ins Museum. 1982 löste die „Gruppe A“ die „Gruppe 2“ im Tourenwagen-Sport ab. Jetzt war für eine Zulassung als Sportgerät der Bau von 5.000 Exemplaren pro Jahr notwendig. Diese Hürde konnte der Mercedes-Benz 450 SLC nie überspringen. Obwohl in der „Gruppe A“ bald Autos wie der Jaguar XJ-S oder der Maserati Biturbo rannten, die diese Hürde – wie auch immer – überspringen konnten. Und bei Mercedes sollte bald der Baby-Benz die Grenze der Gruppe A völlig verschieben.
Die Rennergebnisse im Überblick:
Datum | Rennen | Ergebnis / Fahrer |
26. März 1978 | „Monza 4 Hours“ | Platz 3 Hans Heyer und Clemens Schickentanz |
23. April 1978 | Austria-Trophäe Salzburgring | Platz 3 Hans Heyer und Clemens Schickentanz |
9. Juli 1978 | Großer Preis der Tourenwagen auf der Nordschleife des Nürburgrings | Ausfall mit einem Problem an der Kraftstoffversorgung Hans Heyer und Clemens Schickentanz |
6. August 1978 | Zandvoort Trophy | Ausfall wegen einer defekten Zündung Hans Heyer und Clemens Schickentanz |
17. September 1978 | RAC Diner’s Club Tourist Trophy in Silverstone | Ausfall mit Motorschaden Clemens Schickentanz und Brian Redman |
1. Oktober 1978 | 5. E.G. Trophy in Zolder | Ausfall mit Motorschaden Hans Heyer und Clemens Schickentanz |
1979 | Keine Einsätze | |
23. März 1980 | „Monza 4 Hours“ | Platz 2 Clemens Schickentanz und Jörg Denzel |
25. Mai 1980 | Austria-Trophäe Salzburgring | Motorschaden im Warm-up Clemens Schickentanz und Jörg Denzel |
6. Juli 1980 | Großer Preis der Tourenwagen auf der Nordschleife des Nürburgrings | Sieg Clemens Schickentanz und Jörg Denzel |
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