Beim Stöbern in unserem Bildarchiv fand ich kürzlich dieses Bild von der Vorderradaufhängung des Lotus 72. Das Bild zeigt, wie konsequent das Team von Colin Chapman auf Leichtbau setzte.
Denn die Vorderradaufhängung des von 1970 bis 1975 eingesetzten Rennwagens stützt sich auf eine überschaubare Rahmenkonstruktion ab. Nur im Bereich der Pedalerie gönnten die Konstrukteure Colin Chapman und Maurice Philippe ihrer Konstruktion ein paar Alu-Bleche. Für das Abstützen von Fahrzeugnase und Frontspoilers reichen sogar ein paar dünne Stahlstreben. Ein richtiges Monocoque gibt es erst hinter den Vorderrädern.
Die Vorderradaufhängung des Lotus 72:
Gut sichtbar sind auch die innenliegenden Scheibenbremsen der Vorderradbremse sowie deren Bremswellen. Sie gelten heute gemeinhin als Ursache des tödlichen Unfalls von Jochen Rindt. Denn im Training zum Großen Preis von Italien im September 1970 brach im von Jochen Rindt gesteuerten Lotus 72 die rechte Bremswelle beim Anbremsen vor der Parabolica. Während das rechte Vorderrad nun ungebremst weiterdrehte, blockierte das linke Vorderrad.
Der in Österreich aufgewachsene Deutsche wurde zum Passagier. Sein Lotus schlug hart in die Streckenbegrenzung ein. Mit Jochen Rindt starb nach Jim Clark der zweite Formel-1-Weltmeister in einem Lotus den Rennfahrer-Tod. Wobei Rindt zum Zeitpunkt seines Todes noch nicht Weltmeister war, den Titel aber posthum gewann. Denn im weiteren Saisonverlauf konnte kein anderer Pilot den Punktevorsprung von Rindt aufholen. Damit wurde eine düstere Prophezeiung wahr.
Denn Rindt kommentierte seinen Wechsel von Brabham zu Lotus einst mit einer lakonischen Aussage:
Tragischerweise ersetzte das Schicksal das „oder“ durch ein „und“. Wobei der in Mainz geborene Rennfahrer wohl wusste, worauf er sich einlässt. Doch die Aussicht, im besten Auto zu sitzen, war bei allem Risiko offensichtlich zu verlockend. Rindt ignorierte, dass die Autos von Lotus damals als genauso schnell wie gefährlich gelten.
Denn Lotus-Chef Colin Chapman konstruierte als Verfechter des Leichtbaus ohne Sicherheitsmargen. Der Brite folgte bei der Konstruktion seiner Rennwagen dem Glaubensgrundsatz: „Mehr Leistung macht ein Auto auf der Geraden schneller, weniger Gewicht macht es überall schneller.“ Der Vorderwagen des Lotus 72 unterstreicht dieses Credo eindrucksvoll, wirkt geradezu filigran und zerbrechlich.
Die innenliegende Bremsschreiben waren da nur ein Detail. Sie ermöglichtes es den Konstrukteuren, die Drehachse des Achsschenkels in der Mitte der Reifenaufstandsfläche zu positionieren. Mit einer klassisch im Rad positionierten Bremsscheibe wäre das nicht möglich. Zudem reduzieren innenliegende Bremsscheiben die ungefederten Massen des Fahrzeugs. Beides galt bis in die 1970er-Jahre als anerkanntes Mittel, um die Bremsstabilität eines Fahrzeugs zu erhöhen.
Innenliegende Bremsen gab es sogar bei Serienfahrzeugen
Bereits in den 1950er-Jahren vertraute Mercedes bei seinen Grand Prix Rennwagen zeitweise auf innenliegende Bremsen. Auch beim legendären Uhlenhaut-Coupé von Mercedes lagen die Bremsen innen. Später gab es diese Bauweise auch bei Jaguar, DKW, Citroën, Audi und Alfa Romeo. Als bekannteste Autos mit innenliegenden Bremsen gelten heute der Jaguar E-Type von 1961, der 1968 präsentierte Audi 100 sowie der Alfa Romeo Alfasud.
In Kundenhänden zeigte sich schnell, dass innenliegende Bremsen im Alltag problematisch waren. Denn der Austausch der Bremsscheiben war nur mit viel Aufwand möglich. Das trieb die Servicekosten nach oben. Deshalb verschwanden innenliegende Bremsen bei Serienfahrzeugen teilweise sogar – wie beim ersten Audi 100 – im Zuge einer Modellpflege. Im Motorsport spielen Kosten traditionell nur eine kleine Rolle. Wichtig ist dort nur das Ergebnis.
Und der Lotus 72 überzeugte in dieser Hinsicht trotz des Unfalls von Rindt – so zynisch das klingen mag. Für Qualität der Konstruktion spricht auch, dass Lotus den kontinuierlich weiterentwickelten Rennwagen von 1970 bis 1975 in der Formel-1-Weltmeisterschaft einsetzte. Insgesamt nannte Lotus den Rennwagen bei 75 Grand Prix, wovon das Team satte 20 gewinnen konnte.
Der Lotus 72 blieb fünf Saisons siegfähig!
Den ersten Erfolg feierte Jochen Rindt 1970 beim Großen Preis der Niederlande. Anschließend fuhr Rindt auch in Frankreich, Großbritannien und am Hockenheimring zum Sieg fuhr. Diese vier Siege in Folge waren die Grundlage für den WM-Titel des Österreichers. Zwei Jahre nach Jochen Rindt gewann auch Emerson Fittipaldi im Lotus 72 den WM-Titel. Für den letzten Grand Prix Sieg des Rennwagens sorgte im Herbst 1974 der Schwede Ronnie Peterson.
Selbst im Abschiedsjahr 1975, als der Rennwagen längst ein Auslaufmodell war, gelang Jacky Ickx in Spanien noch ein Podestplatz. Wobei das Rennen auf dem Straßenkurs Circuit de Montjuïc in Barcelona natürlich vor allem wegen der skandalösen Strecke in Erinnerung blieb. Möglich war dies alles nur, weil das Team Lotus den Rennwagen kontinuierlich weiterentwickelte. Ab 1971 übernahm der von BRM zu Lotus gewechselte Konstrukteur Tony Rudd einen Großteil dieser Aufgabe.
Der Brite sorgte dafür, dass das Team mit dem Lotus 72 den Umstieg von profilierten Reifen auf Slicks erfolgreich bewältigte. Dafür veränderte Rudd unter anderem die Spur und überarbeitete die Radaufhängungen. Doch am Grundprinzip der innenliegenden Scheibenbremsen änderte auch Rudd nichts.