Männer, Ideen und Motoren – Moteurs Guy Nègre und Neotech schaffen es 1990 nie ins Feld

Das Ende der Turbos lockte Ende der 1980er-Jahre zahlreiche neue Motorenbauer in der Formel 1 oder zumindest in die Nähe der Königsklasse. Denn einigen von ihnen ging die Luft aus, bevor irgend ein Team ihre Motoren fahren wollte. Moteurs Guy Nègre (MGN) und Neotech gehören zum Club der verhinderten Motorenbauer.

Denn während sich Carlo Chiti und Franco Rocchi mit ihren ziemlich erfolglosen Formel-1-Motoren 1990 an der Strecke blamierten, scheiterten Moteurs Guy Nègre (MGN) und Neotech schon vorher. Heute ist es schwer zu sagen, wer von ihnen einem Start in der Königsklasse des Motorsports näher war. MGN brachte es im September 1989 immerhin bis zu einem Fahrtest. Bei Neotech berichtete die Presse seinerzeit über Prüfstandläufe und dem Test in einem Gruppe C Prototypen. Von einem ernsthaften Engagement in der Formel 1 waren aber beide Projekte tatsächlich wohl meilenweit entfernt.

Moteurs Guy Nègre (MGN)

Hinter MGN stand Guy Nègre. Der Ingenieur erlernte sein Handwerk bei Renault. Als die Formel 1 die Turbos verbietet sieht Nègre eine Chance, der Welt seine Ideen vorzustellen. Denn ähnlich wie Franco Rocchi glaubt auch Nègre an das Konzept eines W-Motors. Doch das ist dem Franzosen noch nicht ungewöhnlich genug. Denn Guy Nègre weiß, dass Ende der 1980er-Jahre die Trägheit der Ventilfedern als Drehzahlbremse gilt. Alle Erbauer von Hochleistungsmotoren suchen nach einer Möglichkeit, die Grenze des Machbaren zu verschieben. Einige Entwickler setzen auf zwangsgesteuerte Ventile.

Pascal Fabre beim GP von Monaco 1987 mit dem AGS JH22
Pascal Fabre beim GP von Monaco 1987 mit dem AGS JH22. Der Rennwagen basierte auf einem älteren Renault. Das Chassis des JH22 erwarb Guy Nègre, um seinen Motor zu testen. (Foto: Archiv AutoNatives.de)

Andere, wie Nègres ehemaliger Arbeitgeber Renault sehen die Zukunft in hydraulisch betätigten Ventilen. Guy Nègre glaubt, dass ein Drehschieber die Lösung ist, um den Gasaustauch bei höheren Drehzahlen zu regeln. Denn so sind klassische Ventile im Zylinderkopf überflüssig. Doch im Glauben an seinen Ansatz verrennt sich der Techniker in einer Sackgasse. Immerhin bringt der Franzose sein Konzept auf dem heimischen Prüfstand zum Laufen. Schon diese Tatsache muss uns heute etwas Respekt abnötigen. Doch Nègre wollte mehr, er glaubte, oder wie andere sagen, er träumte davon, dass sein Motor mit 630 PS die üblichen Cosworth-Motoren übertrumpft.

Die F1-Welt hatte nicht auf Guy Nègre gewartet

Mutig kalkulierte der Guy Nègre mit einer für damalige Verhältnisse bei so großen Motoren hohen Drehzahl von 12.500 Umdrehungen pro Minute. Der Plan blieb ein Plan. Im Grid tauchte der MGM-Motor nie auf. Denn die Teams reagierten zurückhaltend auf das Konzept des in der Szene praktisch unbekannten Guy Nègre. Kein etabliertes Teams war bereit, dem Motor eine Chance zu geben. Nègre kaufte daher im Sommer 1989 bei AGS ein ausrangiertes Chassis des Typs AGS JS22. Das war im Kern ein vier Jahre alter Renault. Denn AGS erwarb, als die Regie Nationale Renault Ende 1985 den Formel 1-Betrieb einstellte, Chassis und Ersatzteile des Werksteams.

Auf der Grundlage des Renault RE60 entstanden die AGS-Modelle JH21C von 1986 und der JS22 von 1987. AGS-Teamchef Henri Julien war vermutlich froh, mit dem Verkauf des „Oldtimers“ an Nègre die stets schmale Teamkasse aufzubessern. Nègre verpflanzte seinen Motor in das Chassis und ging testen. Ein Foto, das von den Testfahrten auf dem Circuit Automobile du Grand Sambuc in der Nähe von Aix-en-Provence stammt, zeigt den Rennwagen ohne Motorabdeckung. Das wirkt ziemlich improvisiert und war es vermutlich auch. Wie der Motor im Formel 1-Chassis funktionierte? Das ist im Rückblick schwer zu beurteilen. Selbst unbefangene Zeitzeugen sind bei der Beurteilung des Tests eher zurückhaltend.

Guy Nègre fand im Langstreckensport einen Abnehmer für seinen Motor

Kein Wunder, dass MGN und Nègre in der Königsklasse keinen Kunden für seinen W12-Motor begeistern konnte. Aber im Langstreckensport, wo die Freude am Experiment traditionell größer ist, fand der Franzose Mutige, die sich auf seinen ungewöhnlichen Motor einlassen wollten. 1990 meldete das Team Norma Auto Concept zu den 24 Stunden von Le Mans seinen C1-Prototypen Norma M6 – ausgerüstet mit dem Motor von Guy Nègre. Doch das Team verpasste die Teilnahme am großen Rennen, weil es sich nicht qualifizierte. Die Boxenmannschaft hatte den Motor im Sportwagen nicht starten können. Nègre kehrte daraufhin dem Motorsport den Rücken. Heute baut der Franzose mit seiner Firma MDI Druckluftmotoren für Autos.


Neotech kam nur bis zum Prüfstand – oder doch weiter?

Zum Formel-1-Projekt von Neotech ist die Faktenlage heute vergleichsweise dünn. Bekannt ist, dass hinter dem Projekt der ehemalige BMW-Mitarbeiter Rolf-Peter Marlow sowie die Österreicher Harald und Manfred Pehr standen. Sie wollten den Motor im österreichischen Eisenerz entwickeln. Der Windrad-Hersteller Villas-Styria finanzierte das Projekt. Der Maschinenbauer hoffte wohl, mit einem Auftritt in der Formel 1 technische Kompetenz beweisen zu können. Auf dem Reißbrett entstand ein „klassischer“ V12-Motor (Foto) mit einem Bankwinkel von 70°. Dabei wies der Motor ein im modernen Motorbau eher ungewöhnliches Detail auf. Denn bei der Kraftübertragung des Zwölfzylinders vertrauten die Entwickler auf einen Mittelantrieb.

Claudio Langes im EuroBrun ER189B in der Vorqualifikation zum GP von Kanada 1990. Der Italiener verpasste dabei den Sprung in die reguläre Qualifikation.
Auch Walter Brun, dessen EuroBrun in die Vorqualifikation musste, suchte einen Motor für sein Formel 1-Team. Doch die Sponsoren, die den Motor bezahlen sollten, hielten ihre Zusagen nicht ein. Deshalb platze der Deal zwischen den Erbauern des Neotech-Motors und dem Schweizer. (Foto: Archiv AutoNatives.de)

Porsche versuchte das 1991 bei seinem gescheiterten Formel-1-Projekt mit Footwork-Arrows ebenfalls. Der Porsche-Motor blieb weit hinter den Erwartungen zurück. Porsche zog sich, ähnlich wie ein Jahr zuvor Subaru, vorzeitig aus der Formel 1 zurück. Neotech plante für seinen Motor 650 PS Leistung bei 14.400 Umdrehungen pro Minute. Das klingt heute etwas optimistisch. Denn selbst die Konkurrenz von Honda, wo das Formel 1-Engagement damals dreistellige Millionenbeträge verschlang, drehte Ende der 1980er-Jahre nicht so hoch. Drei Prototypen des Formel 1-Motors aus Österreich sollen entstanden sein. Einer der Entwicklungsmotoren absolvierte einen Prüfstandversuch über sechs Stunden.

Testete Walter Brun den Motor aus Österreich?

Es gibt auch Stimmen, die dem österreichischen Motor einen Test im Porsche 962 zuschreiben. Walter Brun, der zunächst Sportwagen einsetzte und dessen Team EuroBrun sich Ende der 1980er-Jahre vergeblich in der Formel 1 abmühte, soll Interesse am Motor gehabt haben. Der Schweizer überlegte, den Neotech-Motor sowohl in der Formel 1 als auch der Gruppe C, wo der Unternehmer regelmäßig selbst ins Lenkrad griff, zunächst 1990 exklusiv einzusetzen. Das hätte funktioniert, weil die FIA damals auf Druck von Bernie Ecclestone die Gruppe C auf die gleichen Motoren wie in der Formel 1 umstellte.

Im Vertrauen auf arabische Sponsoren bestellte Brun bei Neotech 20 Exemplare des Motors. Doch die Sponsoren blieben eine Fata Morgana, ihre Zahlungen erfolgten nie. Brun konnte die Motoren nicht abnehmen. Villas-Styria verzichtete auf den Bau der Aggregate. So blieb es bei den drei gebauten Prototypen. Einer wurde von einer Technikerschule in Österreich 2007 in Betrieb genommen. In der Rückschau ist nicht einfach zu beurteilen, wie weit der Motor wirklich am Start in der Formel 1 dran war. Doch losgelöst davon, die Projekte von Carlo Chiti, Franco Rocchi, Guy Nègre und Neotech zeigen im Rückblick vor allem eins. Das Zeitalter der Einzelkämpfer war vor 25 Jahren auch in der Formel 1 endgültig zu Ende.

Das war unsere Serie über Männer, Ideen und ihre Motoren!

Im modernen Rennsport fehlen oft die Begeisterung und der Elan, der diesen „Bastlern“ zu eigen war. Schade eigentlich, denn die Geschichten von Männern, Ideen und Motoren waren ja irgendwie auch unterhaltsam. Und die moderne, oft sterile Formel 1 könnte Persönlichkeiten, die das Unmögliche wagten und damit Geschichten produzieren, wirklich gut gebrauchen.


Infos zum Titelbild dieses Beitrags:
Pascal Fabre beim GP von Monaco 1987 mit dem AGS JH22

Foto: Archiv: AutoNatives.de

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Als Kind der 1970er-Jahre hatte Tom das große Vergnügen, in einem ausgesprochen automobilen Umfeld aufzuwachsen. Das war der optimale Nährboden, um heute über Autos zu schreiben und regelmäßig am Mikrofon über Autos zu sprechen. Denn Tom Schwede moderiert seit 2010 bei großen Oldtimer- und Klassik-Veranstaltungen in Deutschland. So ist Tom unter anderem bei den Classic Days (früher Schloß Dyck, heute in Düsseldorf) oder dem 1.000 Kilometer-Rennen am Nürburgring zu hören. Wenn Sie also einen Moderator oder Streckensprecher für Ihre Oldtimer-Rallye oder Ihr Oldtimer-Treffen suchen, dann sind Sie bei Tom definitiv richtig!