Seit einigen Jahren darf ich regelmäßig am Mikrofon über Oldtimer oder Youngtimer reden. Am vergangenen Wochenende moderierte ich zusammen mit meinem Kollegen Detlef Krehl bei den Classic Days Schloss Dyck den Rundkurs. Zwei Tage lang standen wir am Straßenrand, um über Oldtimer zu sprechen. Die Moderation der Classic Days machte auch in diesem Jahr wieder jede Menge Spaß.
Denn die Abfolge von aufregenden, wunderschönen oder einfach nur liebevoll gepflegten Klassikern bot jede Menge Stoff für interessante Geschichten. Relativ oft kam dabei die Formulierung „mit einer Karosserie von“ über unsere Lippen. Die Sprecherkabine passierten beispielsweise ein Alfa Romeo 6C oder ein Bentley 3 ½ Litre. Ihre Karosserien stammen von Zagato oder Park Ward.
Bei den wunderbaren Masterpieces war es ähnlich. Die Masterpieces sind die Fahrzeuge, die am Concours d´Élégance im Rahmen der Classic Days teilnehmen. Sie stehen während des Wochenendes auf der Orangerie-Halbinsel. Auch hier gilt, dass die Karosserien oft von einem Karosseriebauer und nicht dem Autohersteller stammen. Die Namen der Karosseriebauer begeistern Kenner auch hier: Wendler, Graber oder Michelotti, um nur drei Namen zu nennen.
Heute gibt praktisch keine Carrossiers mehr!
Das Handwerk der Carrossiers starb irgendwann weitestgehend aus. In der Gegenwart kleidet niemand mehr ein Auto der Mittelklasse neu ein. Keiner baut das Coupé oder Cabrio, das einer Baureihe fehlt. Früher war das gang und gäbe. Die Gründe für das Sterben der Carrossiers sind vielfältig. Einige Karosseriebauer resignierten vor geänderten Anforderungen der Produkthaftung. Andere vertrieben die modernen Zulassungsvorschriften vom Markt.
Manchmal stand auch das eigene Missmanagement dem Überleben des Unternehmens im Weg. Zudem entdeckten immer häufiger die großen Autobauer die Nischen, die zuvor unabhängige Karosseriebauer bedienten. Ein gutes Beispiel ist der Baur Karosserie- und Fahrzeugbau. Die Stuttgarter boten einst das BAUR-Topcabriolet an. Das Landaulet ermöglichte den Frischluft-Fans unter den BMW-Freunden schon beim 02er-BMW das Öffnen des Dachs.
Als BMW ab 1985 ein 3er-Werkscabriolet (E30) anbot, wurde die Luft für Baur Karosserie- und Fahrzeugbau dünn. Denn beim Fahrzeugwechsel griffen die Kunden immer häufiger zum Werkscabriolet. Zwar „entschädigte“ BMW den Karosseriebauer mit der Einbindung in die Produktion des BMW Z1. Doch anschließend verhob sich das Familienunternehmen BAUR an der Entwicklung des Topcabriolets der Generation BMW E36. 1998 meldete BAUR Insolvenz an.
Einst kleideten Karosseriebauer das gesamte Auto ein!
Heutige Autos verfügen fast ausnahmslos über selbsttragende Karosserien. Hier stützt sich das Fahrwerk auf dem Blech der Karosserie ab. Auf einem tragenden Rahmen verzichtete bereits 1906 der Adams-Farwell Model 8-A Gentleman’s Speed Roadster. 1922 präsentierte dann Lancia mit dem Lancia Lambda das erste Auto mit einer selbsttragenden Karosserie. Trotzdem basierten bis weit nach dem Zweiten Weltkrieg noch viele Fahrzeuge auf Rahmen.
Was sah ich sonst noch bei der Moderation der Classic Days Schloss Dyck?
Die Audi Tradition brachte den Gruppe S Boliden mit nach Jüchen. Der Prototyp sollte eigentlich ab 1987 in der Rallye-WM antreten. Doch die Unfälle des Jahres 1986 verhinderten das. Denn die FIA schrieb die WM ab 1987 für seriennahe Fahrzeuge der Gruppe A aus.
Wie schon im Vorjahr begeistere das Feld der Rennwagen mit Werbung von Jägermeister das Publikum. In diesem Jahr unterstützte BMW das rollende Museum. Weshalb alle gezeigten Jägermeister-Rennwagen über BMW-Motoren verfügten.
Die Autostadt brachte den ID.R auf die Rundstrecke. Der Elektro-Rennwagen begeisterte mit seinem Spurtvermögen. Denn schneller beschleunigte im Rahmen der Classic Days sicher noch nie ein Auto.
Der Käfer stand auf einem soliden Plattformrahmen. Beim genialen Mini entkoppelten zwei Hilfsrahmen das Fahrwerk von der Karosserie. Kein Wunder, dass beide – Käfer wie Mini – die Werke zahlreicher mehr oder minderbegabter Carrossiers antreiben. Doch auch in der Oberklasse lieferten Autobauer wie Bentley oder Alfa Romeo lange nur Fahrgestelle und Motoren. Sie verzichteten zeitweilig sogar auf das Angebot eigener Karosserien.
Der damalige Bentley-Eigner Rolls-Royce lieferte beim letzten eigenständigen Bentley, dem 1952 vorgestellten Bentley R-Type nur die Antriebseinheit. Zunächst kleidete der Karosseriebauer H. J. Mulliner & Co. den Bentley R-Type Continental exklusiv ein. Ab 1954 lieferte Bentley das Chassis auch an andere Karosseriebauer. So entstand auch das hübsche Coupé mit einer Karosserie des Schweizer Carrossiers Graber, das ich bei den Masterpieces sah.
Rolls-Royce entschied sich damals übrigens bewusst gegen eine moderne selbsttragende Karosserie, um die Langlebigkeit seiner Fahrzeuge nicht zu gefährden. Denn aufgrund der zahlreichen Hohlräume galt der selbsttragende Aufbau als besonders anfällig für Rost. Zudem neigten die frühen selbsttragenden Karosserien zum Dröhnen. Das widersprach dem besonderen Komfortbedürfnis der Kunden von Rolls-Royce.
Dieser Umstand begünstigte das Entstehen von Karosserieaufbauten gerade in der Oberklasse. Denn auch Mercedes verzichtete beim Neustart in der Oberklasse nach dem Zweiten Weltkrieg auf selbsttragende Karosserien. Die Typen Mercedes-Benz 220 (W187), 300 (W186) und 300 S (W188) basierten Anfang der 1950er-Jahre noch auf klassische Rahmen. BMW vertraute sogar noch beim 1962 präsentierten BMW 3200 CS auf die traditionelle Rahmenbauweise.
Der Siegeszug der selbsttragenden Karosserie beendete das Geschäft der Carrossiers!
Obwohl sie natürlich zunächst versuchten, weiter im Geschäft zu bleiben. Ein gutes Beispiel dafür ist das FIAT 2300 S Coupé Michelotti. Es nahm bei den Classic Days 2019 ebenfalls am Concours d´Élégance der Masterpieces teil. Michelotti zeigte dieses Coupé 1966 auf dem Genfer Autosalon. Anschließend fand das Einzelstück, den ein kräftiger Motor von Abarth antreibt, eine Heimat in der Garage eines Schweizer Sammlers.
Anderen Einzelstücken aus dieser Zeit ging es ähnlich. Designer wie Giovanni Michelotti oder Pietro Frua warben mit diesen Einzelstücken für sich, um Aufträge der Autobauer zu akquirieren. Ähnlich gingen die großen Designstudios von Bertone und Pininfarina vor, die wie Karman in Osnabrück auch die Produktion von Fahrzeugen übernahmen. Andere wie Ghia bei Ford oder Italdesign Giugiaro bei Volkswagen schlüpfen gleich ganz unter das Dach eines Autobauers. Gibt es eines Tages ein Comeback der Carrossiers?
Denkbar wäre es! Denn viele Elektroautos basieren auf einem Sandwichboden, der die Batterien und ihre Kühlung trägt. Sicher kein Zufall, dass Giorgio und Fabrizio Giugiaro mit GFG Progetti kürzlich ein neues Designstudio gründeten. Denn es ist gut vorstellbar, solche Elektroplattformen neu einzukleiden. Es wird spannend, ob diese Bauweise neue Carrossiers hervorbringt. Dann hätte sogar das Elektroauto etwas Gutes. Und vielleicht sind solche Autos in ein paar Jahren bei der Moderation der Classic Days ein Thema!
Thomas Ammerschläger erzählte im Interview bei der Moderation der Classic Days über die Disqualifikation der BMW M3 in Monza 1987
Auch Motorsport-Freunde kamen bei den Classic Days wieder auf ihre Kosten. Denn am Sonntag hatte ich während der Moderation der Classic Days die Möglichkeit, ein ausführliches Interview mit Thomas Ammerschläger zu führen. Der Ingenieur war für die Konstruktion des legendären Ford Capri Turbo der Gruppe 5 verantwortlich. Zudem wirkte Ammerschläger als Leiter der Fahrzeugentwicklung der BMW M GmbH an der Entwicklung des legendären BMW M3 mit.
Ich nutzte das Interview während der Moderation der Classic Days, um mit Thomas Ammerschläger ausführlich über das Debüt der Tourenwagen-Weltmeisterschaft 1987 zu sprechen. Dieses Auftaktrennen dominierten die BMW M3. Doch sie verloren den Erfolg später am grünen Tisch. Um Gewicht zu sparen, war bei den Werksrennwagen von BMW das Blech der Dachhaut dünner als beim Serienmodell. Die Homologationsunterlagen von Gruppe-A-Rennwagen enthalten, wie Thomas Ammerschläger betonte, die Blechstärke gar nicht.
Allerdings schrieb das Reglement vor, dass die Karosserie der Rennwagen aus der Serienproduktion stammen musste. BMW fertigte deshalb, wie Thomas Ammerschläger mit dem Abstand von 32 Jahren freimütig erzählte, einige Karosserien mit dünneren Dachblechen, um diese im Motorsport einzusetzen. Zudem fertigte BMW für die Rennwagen leichte Kofferraumdeckel aus Kunststoff. Bei den Serienmodellen kam ein GfK-Kofferraumdeckel zum Einsatz.
Mit diesen Änderungen wollte BMW dem Reglement folgen, das in der englischen Originalfassung ausdrücklich den Einsatz von „plastic“ als Kofferraumhaube vorsah. Die Sportkommissare in Monza sahen in beiden Änderungen einen Grund, um die BMW zu disqualifizieren. Zum Skandal geriet, dass die Untersuchung der Sportkommissare erst begann, als die Protestfristen eigentlich längst abgelaufen waren. Nach der Aufhebung der parc-ferme-Regelung standen die Rennwagen bereits in den Transportern der BMW-Teams.
Kurz vor der Abreise der Teams aus Monza wollten die Sportkommissare die Fahrzeuge nochmal sehen. Es war toll, die ganze Geschichte aus der Perspektive eines damals direkt Beteiligen zu hören. Denn für Thomas Ammerschläger ist der Fall bis heute klar. Das Reglement hatte fahrlässige Lücken. Als die Autobauer diese nutzten, reagierten die Sportkommissare scharf und verstießen gegen die eigenen Regeln.
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