Von Zeit zu Zeit treffe ich bei meinen Moderationen Autos, die mir bisher völlig unbekannt waren. Das Sebring-Vanguard CitiCar gehörte dazu. Denn während meiner Moderation des Rollenden Museums in der Langen Nacht der Münchner Museen fuhr dieses kleine Elektroauto plötzlich vor. Ich war ratlos, doch im Gespräch mit seinem Besitzer erfuhr ich anschließend die wichtigsten Fakten zu diesem skurrilen Fahrzeug.
Zurück am heimischen Schreibtisch setzte ich die Spurensuche fort. Denn mir war sofort klar, über den elektrischen Kleinstwagen und seinen Hersteller muss ich hier im Blog schreiben. Denn schon dessen Name „Sebring-Vanguard“ faszinierte mich. Schließlich verbinde ich mit Sebring bisher vor allem ein wichtiges Sportwagenrennen. Denn regelmäßig im Frühjahr jagen Sportprototypen über den Beton des Flughafens der Kleinstadt.
Maserati benannte zeitweise einen Sportwagen nach diesem Rennen. Das passte, denn damit würdigte der italienische Sportwagenbauer seinen Doppelsieg 1957 in Florida. Schon weniger Erinnerungswert besitzt die eher langweilige Limousine Chysler Sebring. Wer sich richtig gut in der Autogeschichte auskennt, der weiß von der Sebring Motor Car Company. Sie baute ab 1909 in Ohio luxuriöse Fahrzeuge mit Sechszylinder-Motoren. Also alles weit weg vom Sebring-Vanguard CitiCar.
Die Öl-Krise führte zum Umdenken!
Doch in Ohio endete das Abenteuer Autobau schon nach drei Jahren. Was eine interessante Parallele zu Sebring-Vanguard CitiCar ist. Denn nach dem Start 1974 stellte der Hersteller von Elektroautos schon 1977 seinen Betrieb wieder ein. Offenbar war die Zeit wieder einmal noch nicht reif für den Elektroantrieb. Dabei standen die Zeichen bei Gründung der Firma gut. Schließlich schockte gerade die Öl-Krise die westliche Welt.
Nach der Drosselung der Öl-Förderung in den arabischen Förderländern fehlte in den westlichen Industrienationen der Kraftsoff zum Betrieb der üblichen Verbrennungsmotoren. Das beschäftigte auch den Amerikaner Robert „Bob“ Beaumont. Der Chrysler-Händler sah einen Markt für elektrische Stadtwagen. Gemeinsam mit dem Designer Jim Muir entwickelte Bob Beaumont das passende Gefährt.
Grundlage der Konstruktion war ein Golfwagen
Bei der Konstruktion griff das Duo auf Teile des Golfwagen-Hersteller Club Car zurück. Um den Erstling zu verkaufen, gründete Beaumont die Firma Vanguard. Doch das Vanguard Coupe (englisch) genannte Fahrzeug erwies sich als Ladenhüter. Die Grundlage Golfwagen war offensichtlich. Das sollte Gewicht sparen, um von Ausnahmeregeln des National Transportation Safety Board (NTSB) für bis zu 1.000 Pfund leichte Fahrzeuge zu profitieren.
Schließlich verschärften die USA auf Betreiben von Ralph Nader in diesen Jahren kontinuierlich die Sicherheitsvorschriften. Mit einem sehr leichten Fahrzeug konnte Vanguard diese Vorschriften teilweise umgehen. Doch das Coupé erwies sich als Ladenhüter. Aber Beaumont und Muir glaubten an die Idee „Elektroauto“. So entstand das Sebring-Vanguard CitiCar. Denn als Zeichen des Neustarts änderten sie den Firmennamen in Sebring-Vanguard.
Das Sebring-Vanguard CitiCar ist deutlich mehr Auto als sein Vorgänger!
Denn seine einfache Karosserie ist ganz geschlossen. Wobei die Entwickler auf eine flache, diagonale Front, ein flaches Dach und eine fast senkrechte Rückwand vertrauten. Damit nahmen sie die Grundzüge des Smart zum zwei Jahrzehnte vorweg. Den Antrieb übernahm zunächst ein 2,5 PS (1,9 kW) starker Motor, der seine Energie aus einem 36-V-Batteriepaket bezog. Es bestand aus sechs in Reihe geschalteten 6-Volt Batterien. Die Modellbezeichnung SV/36 leitet sich von diesem Batteriepaket ab.
Der Antrieb war offensichtlich nicht befriedigend. Denn schon nach kurzer Zeit spendierten die Entwickler ihrem Kleinwagen zwei weitere Batterien, um fortan einen 3,5 PS (2,6 kW) starken Motor anzutreiben. Die Modellbezeichnung änderte sich als Hinweis auf das Batteriepaket in SV/48. Ab 1976 gab es sogar einen 6 PS (4,5 kW) kräftigen Motor. Zudem veränderte Designer Muir die Kunststoffkarosserie und integrierte kleine Lüftungsöffnungen an der Seite des Fahrzeugs.
Auf Wunsch gab es ab 1976 Türen mit besseren Verschlüssen und fest installierten Schiebefenstern. Sie fehlen bei dem Exemplar, das ich in München traf. Trotzdem blieb das Sebring-Vanguard CitiCar Zeit seines kurzen „Lebens“ ein einfaches Fahrzeug. Und vermutlich genau deshalb landete das Konzept einen Achtungserfolg. Schon 1974 entstanden 608 Fahrzeuge. Ein Jahr später verließen sogar 1.193 CitiCar das Werk in Sebring, Florida.
Doch die Ölkrise lag inzwischen fast drei Jahre zurück!
Menschen vergessen schnell. Zudem gab es Diskussionen, ob so ein Kleinwagen sicher sei. Denn wer wollte, der konnte mit seinem Sebring-Vanguard CitiCar mehr als 60 Kilometer pro Stunde schnell sein. Alles zusammen schlug sich in den Absatzzahlen nieder. 1976 entstanden nur noch 424 Fahrzeuge. Ob anschließend tatsächlich noch weitere CitiCar bei Sebring-Vanguard entstanden, ist umstritten. Die Quellenlage ist an dieser Stelle unübersichtlich, um es diplomatisch auszudrücken. Fakt ist, dass das Unternehmen in die Krise schlitterte.
Dabei galt der Autobauer zeitweilig sogar als Hoffnungsträger einer neuen Zeit. Denn nach GM, Ford, Chrysler, AMC und der Checker Motors Corporation war Sebring-Vanguard kurzzeitig sechstgrößter Automobilhersteller der USA. Damit verwies der Elektroauto-Bauer immerhin „Größen“ wie Excalibur und Avanti Motors auf die Plätze. Trotzdem folgte 1976/77 das Aus, Sebring-Vanguard war ein Insolvenzfall. Offenbar war ein kleines Elektroauto wie das Sebring-Vanguard CitiCar mit einer Reichweite von bis zu 60 Kilometern doch kein tragfähiges Geschäftsmodell.
Das zweite Leben als Comuta-Car!
Bob Beaumont zog nach der Insolvenz nach Washington und wirkte in den kommenden Jahren als Lobbyist für Elektrofahrzeuge. Später gründete der Unternehmer in Maryland einen Gebrauchtwagenhandel. Anfang der 1990er-Jahre feierte Beaumont sogar ein Comeback als Autobauer. Denn seine Beaumont Renaissance Cars, Inc. entwickelte den vollelektrischen Tropica (englisch). Wobei auch diesmal das Design von Jim Muir stammte.
Bei der Auktion der Insolvenzmasse des ursprünglichen Unternehmens erwarb Frank Flower die Rechte an der Konstruktion und ein Großteil der Werkzeuge. Damit gründete Flower die Commuter Vehicles, Inc, um ab 1979 das zum Comuta-Car umgetaufte CitiCar zu bauen. Doch trotz einiger Verbesserungen und einen vom ursprünglichen Modell abgeleiteten kleinen Lieferwagens scheiterte auch Commuter Vehicles. Den Lieferwagen (englisch) kaufte hauptsächlich die amerikanische Post. Zu den „Verbesserungen“ gehörten typische US-Stoßstangen, die den Kleinwagen nicht hübscher machten.
Bis 1982 entstanden bei Commuter immerhin rund 2.100 weitere Elektroautos. Mit insgesamt etwa 4.000 Exemplaren war das CitiCar zu dieser Zeit das erfolgreiche amerikanische Elektroauto nach dem Zweiten Weltkrieg. Erst Tesla verdrängte den Kleinstwagen von diesem Thron. Das macht das CitiCar zu einem historisch bedeutenden Fahrzeug. Ich gebe zu, dass ich das nicht erwartet hätte, als ich das Elektroauto kürzlich in München traf. Jetzt bin ich schlauer und frage ich mich nur noch, ob die Entwickler des Smart das CitiCar kannten.
Technische Daten:
- Länge: 2.413 mm (95 Zoll)
- Breite: 1.397 mm (55 Zoll)
- Radstand: 1.600 mm (63 Zoll)
- Höhe: 1.473 mm (58 Zoll)
- Spurweite vorne: 1.092 mm (43 Zoll)
- Spurweite hinten: 1.118 mm (44 Zoll)
- Gewicht: 570 kg (beim SV/36)
- Kofferraumvolumen: 340 Liter
- Bereifung: 4.80 x 12, 4-lagig oder optional 135R12 Radialreifen
- Geschwindigkeit: 61 km/h beim SV/48, 45 km/h beim SV/36
- Beschleunigung: 0 to 25 Mph in 6.2 Sekunden
- Wendekreis: 6,70 Meter
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