Rennsport-Geschichten

Projekt 400: Ziel war, in Le Mans mehr als 400 km/h zu fahren!

Wie Roger Dorchy 1988 mit dem WM P88 auf der Hunaudières 405 km/h fuhr

Die 24 Stunden von Le Mans stehen seit Anfang an für pure Geschwindigkeit. Auf der „Ligne Droite des Hunaudières“ ging es beinahe sieben Jahrzehnte lang fast fünf Kilometer mit Vollgas geradeaus. Anfang der 1960er-Jahre fiel die Marke von 300 km/h. Kurze Zeit später war ein Tempo von 350 km/h in Le Mans ganz normal. Kein Wunder, dass in den 1980er-Jahren die Entwickler eine Geschwindigkeit von 400 km/h ins Visier nahmen. Walter Racing startete 1987 das Projekt 400, um die symbolische Marke zu knacken.

WM P489, Le Mans 1989
Gérard Welter und Michel Meunier begannen 1969 damit eigene Sportwagen zu bauen. 19 Jahre später war ihr WM P88 in Le Mans mit bis zu 405 km/h unterwegs. 1989 setzte Welter Racing den WM P489 ein. Bei den neuen Rennwagen handelte es sich um weiterentwickelte beziehungsweise umgebaute WM P88. (Foto: Archiv AutoNatives.de)

Heute wird das oft vergessen, aber Le Mans war immer auch die Spielwiese kleiner und unabhängiger Teams. In den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg war besonders die Effizienzwertung ihre bevorzugte Spielwiese. Hersteller wie Automobiles D.B. (Deutsch et Bonnet) entdeckten dabei zunehmend die Bedeutung der Aerodynamik. So konnten sie auch mit kleinen Motoren erstaunliche Geschwindigkeiten erreichen. Der CD Panhard LM64 war mit einem 850 Kubikzentimeter großen Zweizylinder und 80 PS Leistung mehr als 220 Kilometer pro Stunde (km/h) schnell. Das Geheimnis war die Karosserie des Aerodynamik-Experten Robert Choulet, der später auch den unglücklichen Matra MS640 „einkleidete“.

1969 bauten Gérard Welter und Michel Meunier ihren ersten Rennwagen!

Gérard Welter arbeitete seit seinem 18. Lebensjahr in der Designabteilung von Peugeot. Das lastete den Designer offenbar nicht vollständig aus. Denn zusammen mit seinem Kollegen Michel Meunier begann Welter in seiner Freizeit, Rennwagen zu konstruieren. Ihr erster Rennwagen, das Coupé WM P69 basierte auf dem Peugeot 204 Cabriolet. Ein Jahr später folgte mit dem WM P70 ein Mittelmotor-Sportwagen. Doch die Hürde der Homologation, die in der damaligen Gruppe 5 den Bau von 25 Exemplaren in zwölf Monaten erforderte, war für Welter und Meunier nicht zu überspringen. Rennfahrer Philippe de Souza übernahm den WM P70, um ihn in den kommenden Jahren überwiegend bei Clubrennen einzusetzen.

WM P76 von Welter Racing, 1976 in Le Mans – bis zum Projekt 400 war es jetzt nur noch eine Frage der Zeit.
Der WM P76 beim Debüt in Le Mans. Gérard Welter und Michel Meunier nutzten das damals neue Reglement der „Grand Touring Prototypen“ (GTP), um ihren dritten Rennwagen zu bauen. Das GTP-Reglement öffnete ihnen die Tür zu den 24 Stunden von Le Mans. Bis zum Projekt 400 war es jetzt nur noch eine Frage der Zeit. (Foto: Archiv AutoNatives.de)

Erst sechs Jahre nach dem WM P70 bauten Gérard Welter und Michel Meunier mit dem WM P76 einen weiteren Sportwagen. Das neue GTP-Reglement, das Le Mans-Veranstalter ACO zusammen mit der IMSA definierte, sah den Bau kostengünstiger Prototypen vor. Welter und Meunier dachten die Idee ihres WM P70 weiter und bauten ihren ersten Le Mans-Rennwagen. Den Antrieb übernahm der PRV-Motor, den die beiden Peugeot-Mitarbeiter damit als Erste auf die Rennstecke brachten. Ein Batterie-Hersteller und das Mineralöl-Unternehmen BP finanzierten den Einsatz des P76 in Le Mans. Doch das Team fiel nach 125 Runden aus. Der Ausfall hielt Gérard Welter und Michel Meunier nicht lange auf.

Ab 1977 beflügelte der Turbo den PRV!

Welter und Meunier entwickelten die Rennversion des PRV weiter. Ab 1977 half ein Turbo-Lader dem V6 beim Atmen. Dazu entstand mit dem WM P77 ein verbessertes Fahrzeug. Trotzdem war es der „alte“ P76, der als erster Rennwagen von WM Racing, wie sich das Team jetzt offiziell nannte, die Zielflagge sah. In den kommenden Jahren entwickelten Gérard Welter und Michel Meunier regelmäßig neue Rennwagen. Lohn der Mühe war 1979 der 14. Gesamtrang und der Klassensieg in der GTP-Klasse für den WM P79 Peugeot. Ein Jahr später belegten Guy Fréquelin und Roger Dorchy mit dem WM P79/80 sogar den vierten Gesamtrang. Ein Erfolg, der im Schatten des Siegs des Rondeau M379 etwas unterging.

WM P82 bei den 24 Stunden von Le Mans 1982
Mit dem WM P82 wagten Gérard Welter und Michel Meunier den Schritt in die Gruppe C. Den Antrieb übernahm weiter der aufgeladene PRV. Seit 1981 verkleidete Welter Racing die Hinterräder seiner Rennwagen. Ein Trend den auch Lola und Jaguar zeitweise in der Gruppe C nutzen. Welter Racing blieb dieser Idee bis zum Projekt 400 treu. (Foto: Archiv AutoNatives)

Schon 1980 jagte der WM P79/80 im Training mit 351 km/h über die Hunaudières. Das war die Bestmarke des Jahres. Als die FISA für 1982 ihre Klassenstruktur überarbeitete, wandten sich Gérard Welter und Michel Meunier der Gruppe C zu. Mit dem WM P82 entstand der passende Rennwagen, den weiter der aufgeladene PRV-V6 ihres Arbeitgebers antrieb. Esso stieg als Hauptsponsor in das Projekt der Zwei ein. Das ermöglichte es den Peugeot-Mitarbeitern mit zwei „Werkswagen“ in Le Mans anzutreten. Doch wie bei den meisten Versuchen in den Vorjahren kamen die WM auch 1982 nicht über die Distanz. Trotzdem trat das Team auch in den nächsten Jahren regelmäßig in Le Mans an.

1987 rief WM Racing das „Projekt 400“ aus!

Der WM P83B flog bereits 1984 mit einem Tempo von 363 km/h über die Strecke. Drei Jahre später setzte sich das Team mit dem Erreichen von 400 km/h ein ehrgeiziges Ziel. Für das Rennen 1987 baute das Team ein aerodynamisch ausgefeiltes Auto mit verkleideten Hinterrädern. Schon die Form verdeutlichte, dass WM Racing alles dem Ziel Geschwindigkeit unterordnete. Denn bei einem im Rennen in Le Mans immer notwendigen Boxenstopp waren die Verkleidungen ein Nachteil. Zwei Turbolader hoben die Leistung des PRV auf rund 900 PS an. Bei der Pressevorstellung des WM P87 erreichte der Rennwagen auf der Autobahn A26 zwischen Saint-Quentin und Laon ein Tempo von 416 km/h.

Peugeot feierte den Triumph mit einigen Anzeigen
Peugeot feierte den Triumph der Höchstgeschwindigkeit mit einigen Anzeigen und Plakaten. Dabei stand die Geschwindigkeit von 405 km/h im Mittelpunkt. (Foto: Peugeot)

Wie sehr sich die Relevanz des Motorsports seitdem veränderte, zeigt mir, dass François Migault mit dem WM P87 damals eine neugebaute Autobahn eröffnen durfte. Bei den 24 Stunden von Le Mans blieb der WM P87 hinter den Erwartungen zurück. Im Schatten des Zweikampfs zwischen Porsche 962 und Jaguar XJR-8 erreichte der P87 nur 382 km/h im Training und 379 km/h im Rennen. Dort beendete (mal wieder) ein Motorschaden die Fahrt vorzeitig. Fun-Fact am Rande: Im WM P87 kam ein Serienlenkrad von Peugeot zum Einsatz. Für 1988 entstand ein neuer Rennwagen. Die Karosserie des WM P88 war noch etwas extremer auf Geschwindigkeit ausgelegt.

Mit Erfolg, 1988 fuhr der WM P88 auf der Hunaudières 405 km/h!

Während der Trainingstage bremsten immer wieder technische Schwierigkeiten den WM P88 ein. Besonders die Kühlung des Motors erwies sich als problematisch. Im Training setzte ein Porsche 962 mit 391 km/h eine neue Bestmarke. Doch im Rennen durfte Pilot Roger Dorchy jede Rücksicht ablegen. Ein Ladedruck von 2,8 bar hauchte dem auf drei Liter vergrößerten PRV rund 950 PS Leistung ein. Davon beflügelt erreichte der WM P88 gegen 21 Uhr ein Tempo von 405 km/h. Angesichts der im Training gezeigten Leistung sagten Spötter sofort, dass die größte Leistung des Teams war, den WM P88 so lange im Rennen zu halten.

Gérard Welter (1942 - 2018) rief mit seinem Team Welter Racing das Projekt 400 aus.
Gérard Welter (1942 – 2018) rief mit seinem Team Welter Racing das Projekt 400 aus. (Foto: Peugeot)

Der ACO meldete damals zunächst ein Tempo von 407 km/h. Mitglieder des Teams waren sich sicher, dass der WM P88 sogar 409 km/h schnell war. Doch Partner Peugeot führte gerade den Peugeot 405 ein. Deshalb einigten sich alle Beteiligten auf ein Tempo von 405 km/h. Es war ein Rekord für die Ewigkeit. Denn 1989 konnten die in WM P489 umbenannten weiterentwickelten P88 ihre Bestmarke nicht überbieten. Pascal Pessiot platzte schon im Training ein Hinterreifen an einem der Rennwagen. Im Rennen beendete ein Motorschaden die Fahrt des zweiten Rennwagens. Und seit 1990 unterbrechen in Le Mans zwei Schikanen das Streben nach Höchstgeschwindigkeit.


Infos zum Titelbild dieses Beitrags:
1989 setzte Welter Racing den WM P489 ein. Bei den neuen Rennwagen handelte es sich um weiterentwickelte beziehungsweise umgebaute WM P88.

Foto: Archiv AutoNatives.de

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Als Kind der 1970er-Jahre hatte Tom das große Vergnügen, in einem ausgesprochen automobilen Umfeld aufzuwachsen. Das war der optimale Nährboden, um heute über Autos zu schreiben und regelmäßig am Mikrofon über Autos zu sprechen. Denn Tom Schwede moderiert seit 2010 bei großen Oldtimer- und Klassik-Veranstaltungen in Deutschland. So ist Tom unter anderem bei den Classic Days (früher Schloß Dyck, heute in Düsseldorf) oder dem 1.000 Kilometer-Rennen am Nürburgring zu hören. Wenn Sie also einen Moderator oder Streckensprecher für Ihre Oldtimer-Rallye oder Ihr Oldtimer-Treffen suchen, dann sind Sie bei Tom definitiv richtig!

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