Mao, Mercedes und der Shanghai SH760B
Kürzlich verkaufte die Stiftung AutoMuseum Volkswagen elf Fahrzeuge aus ihrem Bestand. Darunter befand sich auch ein Auto, das ich zunächst nicht einordnen konnte. Der Shanghai SH760B war mir tatsächlich unbekannt. Wer mich kennt, weiß, dass ich solche Wissenslücken nicht auf mir sitzen lasse.
Mitte des vergangenen Jahrhunderts deckte China seinen Bedarf an Kraftfahrzeugen überwiegend durch Importe aus der damaligen Sowjetunion. Doch bereits ab 1953 entstanden in der Volksrepublik erste Lkw-Fabriken, die Fahrzeuge auf Basis sowjetischer Lizenzen produzierten. Fünf Jahre später befahl Mao Zedong seinem Land den „Großen Sprung nach vorn“.
Drei Konzepte – ein Ziel: aufholen!
Um den technologischen Vorsprung der westlichen Industrienationen aufzuholen, initiierte die Regierung den Aufbau einer eigenen Automobilindustrie. Drei Hersteller traten an, um das Rennen zu machen: Beijing Automobile Works (BAW) baute mit sowjetischer Hilfe den Wolga-Nachbau Dongfanghong BJ760. Beim Lkw-Hersteller First Automotive Works (FAW) entstand der Mittelklassewagen Dongfeng CA71, der sich optisch an die Simca Vedette anlehnte.
Raider heißt jetzt Twix – und Feng Huang wurde zum Shanghai 760!
Und die Shanghai City Agricultural Machinery Manufacturing Company entwarf den Feng Huang – zu Deutsch: Phönix. Alle drei Autobauer produzierten zunächst nur in kleinen Stückzahlen. Experten gehen davon aus, dass sie 1958 und 1959 jeweils höchstens 100 Exemplare ihrer Mittelklassemodelle fertigten. 1960 fiel die Entscheidung: SAW durfte sein Fahrzeug in Serie bauen.
Die Form des „Phönix“ war von Beginn an stark von Mercedes-Benz und Plymouth beeinflusst. Radstand und Abmessungen entsprachen fast genau dem Mercedes-Benz W 180, dem sogenannten Ponton-Mercedes. Anfangs verbaute SAW einen nachgebauten Vierzylinder aus dem GAZ-M20 Pobeda. 1964 gab SAW den Namen Feng Huang auf – das Auto hieß fortan Shanghai 760.
Der Shanghai 760 lief bis 1991 – ununterbrochen!
Mit dem neuen Namen zog auch ein neuer Motor ein: ein Sechszylinder mit 2.232 cm³ Hubraum und 90 PS Leistung. Auch dieser orientierte sich an Mercedes-Benz M 180. Nur bei der Ventilsteuerung gingen die chinesischen Ingenieure einen eigenen Weg: Denn ihr Triebwerk verfügte über seitengesteuerte Ventile, während Mercedes-Benz zu dieser Zeit bereits obenliegende Nockenwellen einsetzte.
Die Produktion setzte auf Handarbeit, die Stückzahlen blieben überschaubar. Insgesamt entstanden in 33 Jahren gerade einmal 80.000 Exemplare des Shanghai 760. Dennoch war das Modell lange Zeit der am weitesten verbreitete zivile Personenwagen Chinas. In den Jahren 1968 und 1974 wurde das Design leicht überarbeitet. Ab 1984 kooperierte der Hersteller, der sich inzwischen Shanghai Automotive Industry Corporation (SAIC) nannte, mit Volkswagen.
Der VW Santana übernimmt – der Shanghai tritt ab
Irgendwann benannte SAIC das Modell auch in Shanghai 760B um. Die deutschen Quellen sind sich jedoch uneins, wann das passierte. Ab 1987 gab es mit dem SH7221 zudem eine optisch stärker überarbeitete Variante. Sie übernahm Räder, Stoßstangen und Rückleuchten vom im selben Werk produzierten VW Santana. Technisch blieb jedoch alles beim Alten – anders als oft behauptet, kam beim SH7221 kein VW-Motor zum Einsatz.
Vier Jahre lang liefen der SH760B, der SH7221 und der VW Santana bei SAIC gemeinsam vom Band. Erst 1991 endete die Produktion des Shanghai-Modells endgültig. SAIC konzentrierte sich fortan ganz auf den Santana. Der Shanghai 760B, den die Stiftung AutoMuseum Volkswagen kürzlich versteigerte, hat also keine direkte Verbindung zu Volkswagen. Insofern ist nachvollziehbar, warum sich das Museum von ihm trennt.
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