Ettore Bugatti gilt als einer der genialsten Konstrukteure in der Geschichte des Automobils. Schon mit seinem Sportwagen „Type 13“ setzte der gebürtige Italiener 1910 neue Maßstäbe. Doch wussten Sie, dass Bugatti kurze Zeit später auch für das erste erfolgreiche Auto von Peugeot verantwortlich war?

Nach der Trennung von der Gasmotoren-Fabrik Deutz AG in Köln gründete Ettore Bugatti 1909 zusammen mit Ernest Friederich die „Automobiles Ettore Bugatti“. Das neue Unternehmen fand im elsässischen Molsheim, das damals noch zum Deutschen Kaiserreich gehörte, seine Heimat. Um Geld zu verdienen, übernahm Bugatti auch Entwicklungsaufträge von anderen Herstellern. Zu den ersten Kunden, die Bugatti als Entwickler beauftragten, gehörte der Autobauer Les Fils des Peugeot Frères.

Hinter diesem Unternehmen standen Robert, Pierre und Jules Peugeot. Die drei Neffen von Armand Peugeot traten mit ihrer Firma unter dem Markennamen Lion-Peugeot ab 1905 in Konkurrenz zur Firma ihres Onkels. Sie wollen mit Kleinwagen den Automarkt von unten erweitern. Ihr Erstling Lion Peugeot VA mit Einzylindermotor fand von 1906 bis 1908 rund 1.000 Kunden. Das galt damals als Erfolg.

Doch der Automarkt verändert sich in diesen Jahren schnell. Die Konstruktionen von Lion-Peugeot galten schnell als veraltet. Zudem verzettelte sich das Unternehmen mit teuren V2 und V4-Motoren. Lion-Peugeot verlor im wachsenden Segment der Kleinwagen an Konkurrenzfähigkeit. Deshalb sucht Les Fils des Peugeot Frères schon 1911 Hilfe bei Bugatti.

Ettore Bugatti hat die Lösung in der Schublade

Ettore Bugatti bietet seinen neuesten Prototypen, einen serienreifen Kleinwagen mit der Entwicklungsnummer 19, an. Die Franzosen greifen zu, denn der Entwurf passt genau in das Lastenheft von einem „Volks-Auto für schmale Geldbeutel“. Lion-Peugeot wünscht aus Kostengründen nur ein einfacheres Getriebe. Bugatti kommt dem Wunsch nach und überarbeitet die Konstruktion. Parallel dazu sucht Lion-Peugeot den Schulterschluß mit dem Stammunternehmen.

1912 schließen sich Automobiles Peugeot und Lion-Peugeot zur Société des Automobiles et Cycles Peugeot zusammen. Der von Ettore Bugatti konstruierte Kleinwagen kommt daher 1913 als Peugeot Bébé BP1 (Bugatti Peugeot Nummer eins) auf den Markt. Bis heute halten sich Gerüchte, dass dieser Kleinwagen eigentlich für Wanderer in Chemnitz entstand. Zu 100 Prozent belegt ist das nicht. Der kurz vor dem Bébé BP1 angebotene Wanderer Puppchen ist etwas größer als der Peugeot Bébé von Bugatti.

„Nur einen Sous pro Kilometer“ – mit diesem Werbespruch bewirbt Peugeot den Kleinwagen. Das kommt auch gut bei den Kunden an. Denn bis 1916 verkauft Peugeot mehr als 3.000 Exemplare des Bébé BP1. Der Peugeot gilt damit als der erste Kleinwagen, der für breitere Käuferschichten erschwinglich ist. Nebenbei legt der Bébé damit den Grundstein für die Kleinwagentradition bei Peugeot. Der Erfolg führt dazu, dass Peugeot und Bugatti über weitere Modelle verhandeln. Doch der Erste Weltkrieg verhindert das.

Der Peugeot Bébé BP1 gilt als sportlich und komfortabel

Denn Ettore Bugatti liefert Peugeot zusammen mit dem Fahrzeug auch einen 10 PS starken Vierzylinder-Reihenmotor. Der 855 cm³ große Viertakter ähnelt mit seinen zwei seitlichen Nockenwellen und einer Bohrung von 55 Millimetern dem Motor des Bugatti Typ 10. Der 2,62 Meter lange Zweisitzer bringt nur 350 Kilogramm auf die Waage. Bugatti hat bei der Konstruktion konsequent aufs Gewicht geachtet. Der Konstrukteur verzichtet auf ein zusätzliches Armaturenbrett und montiert die wenigen Instrumente direkt an der Spritzwand.

Bei Bedarf ist der Kleinwagen 60 km/h schnell, trotzdem fährt ein Peugeot Bébé BP1 beim damals bekannten Bergrennen am Mont Ventoux zum Klassensieg. Trotz des kurzen Radstands gilt der Kleinwagen übrigens als komfortables Fahrzeug. Denn Bugatti befestigt die Federn an der hinteren Rahmentraverse und hängt daran die Hinterachse auf. Dadurch bietet der Bébé einen bisher in der Kleinwagenklasse nicht gekannten Fahrkomfort.

AutoNatives.de ist auch bei Facebook. Wir freuen uns über ein Like.







Themen in diesem Artikel:
Author

Als Kind der 1970er-Jahre hatte Tom das große Vergnügen, in einem ausgesprochen automobilen Umfeld aufzuwachsen. Das war der optimale Nährboden, um heute über Autos zu schreiben und regelmäßig am Mikrofon über Autos zu sprechen. Denn Tom Schwede moderiert seit 2010 bei großen Oldtimer- und Klassik-Veranstaltungen in Deutschland. So ist Tom unter anderem bei den Classic Days (früher Schloß Dyck, heute in Düsseldorf) oder dem 1.000 Kilometer-Rennen am Nürburgring zu hören. Wenn Sie also einen Moderator oder Streckensprecher für Ihre Oldtimer-Rallye oder Ihr Oldtimer-Treffen suchen, dann sind Sie bei Tom definitiv richtig!