Auto-Erinnerungen

Automobile Zwillinge, bei der Geburt getrennt?

Triumph SD2, Reliant FW-11, Volvo Tundra, Mazda MX-81 Aria und Citroën BX

Seit den Anfangstagen des Autos denken Automobil-Designer die Ideen ihrer Kollegen weiter. Doch wenn fünf unabhängige Autobauer ein optisch ähnliches Auto präsentieren, dann ist mehr als nur „Inspiration“ im Spiel. Wie erklären sich fünf automobile Zwillinge?

Ende der 1960er-Jahre entdeckten die Auto-Designer die Keilform. Als Auslöser der Mode gilt heute der 1966 vorgestellte Maserati Ghibli. Womit erstaunlicherweise ein Serienmodell einen aufregenden Trend auslöste. Normalerweise gibt es vorher Studien, die dann in die Serie einfließen. Bei der Keilform war es anders. Trotzdem folgten auf den Ghibli in schneller Folge immer aufregendere Konstruktionen. Designstudios wie Bertone und Pininfarina trieben die Keilform auf die Spitze.

Ihre Studien Lancia Stratos Zero und Ferrari 512 S Modulo sind heute legendär. Besonders die Carrozzeria Bertone und ihr Chef-Designer Marcello Gandini gelten als Verfechter des Keils. Das führte zu einer aus heutiger Sicht bizarren Situation. Denn innerhalb weniger Jahre entstanden bei fünf Marken fünf Fahrzeuge, die heute als automobile Zwillinge gelten. Wobei in einem Fall die Rolle der Carrozzeria umstritten ist. Doch der Reihe nach, ordnen wir das Ganze mal chronologisch. Folgende Autos gelten als automobile Zwillinge:

1974 – Triumph SD2

Den Anfang machte 1974 der Triumph SD2. Er entstand 1974 in „Special Division“ von British Leyland. Die Produktplaner der „Special Division“ sahen zwei Modelle vor. Für die obere Mittelklasse plante Britisch Leyland den 1977 präsentierten Rover SD1. Eine Klasse darunter sollte der Triumph SD1 den Triumph Dolomite ablösen. Beide Entwürfe orientierten sich an der damaligen Mode der Keilform. Offiziell gilt das Design des SD2 als Arbeit des Rover-Haus-Designers David Bache.

Automobile Zwillinge Nummer 1: Triumph SD2
Automobile Zwillinge Nummer 1 – Gedacht als Nachfolger des Triumph Dolomite sollte der Triumph SD2 dem größeren SD1 zur Seite stehen. (Foto: © British Motor Industry Heritage Trust.)

Allerdings mussten sich Bache und sein Team intern dem Wettbewerb mit Pininfarina stellen. Britische Zeitzeugen berichten jedoch auch von Gesprächen, die die „Special Division“ und Bache mit der Carrozzeria Bertone führten. Angesichts der auffälligen Ähnlichkeit am Heck des heute bekannten SD2-Prototypen zu den offiziellen Bertone-Entwürfen ist das nicht auszuschließen – auch wenn die Hüter der Familienehre dem SD2 auch Jahrzehnte später noch vehement den Nachweis der Abstammung verweigern.

1977 – Reliant FW-11

Heck des Reliant FW11
Automobile Zwillinge Nummer 2 – Der Reliant FW11 entstand in Zusammenarbeit mit dem türkischen Autobauer Otosan. (Foto: reliant.website)

Unbestritten ist, dass die Carrozzeria Bertone für Reliant und Otosan arbeitet. Der britische Autobauer wollte zusammen mit dem türkischen Partner Otosan Otomobil Sanayii in die untere Mittelklasse vordringen. Das Pflichtenheft sah vor, dass sich das Fahrzeug einfach montieren lässt. Deshalb entsteht eine glatte, geradlinige Karosserie – vier Prototypen wurden gebaut.

Die Kooperationspartner planten, das Auto zunächst als Otosan Anadol auf den Markt zu bringen. Im Anschluß sollte Reliant das Auto als FW11 in seiner Heimat anbieten. Beides ließ sich nicht in die Tat umsetzen. Reliant und Otosan fanden keinen Motoren-Partner und ein eigener Motor war für die britisch-türkische Allianz nicht zu finanzieren. Otosan-Inhaber Koç beendete daher das Projekt und verkaufte seinen Autobauer an Ford.

1979 – Volvo Tundra

Bertone fand sofort einen neuen Kunden für das Design. 1979 erschien die Studie Volvo Tundra. Sie basierte technisch auf der 300-Serie von Volvo. Weil das Thema Keil inzwischen nicht mehr ganz neu ist, entwickelte Bertone die Studie zu einem rollenden Zukunftsbild des Automobils weiter.

Volvo Tundra
Automobile Zwillinge Nummer 3 – Die Studie Volvo Tundra entstand 1979 in Zusammenarbeit mit Bertone. Der kurze Radstand des Spenders Volvo 343 sorgte dafür, dass diesmal ein 2-Türer entstand. (Foto: Volvo)

Beim Äußeren beschränkte sich Bertone-Chef-Designer Marcello Gandini auf zwei Türen. Das lag wohl vor allem daran, dass der kleine Volvo 300 den Radstand vorgab. Es blieb bei einem Messeauftritt. Volvo entschied sich gegen einer Serienfertigung. Dem Vertrieb fehlte der Glaube, dass der Tundra erfolgreich zu verkaufen sei.

1981 – Mazda MX-81 Aria

Doch das Design schien unsterblich zu sein. Denn an die Stelle von Volvo trat praktisch unmittelbar Mazda. Bereits 1981 stellten Bertone und Mazda die Studie Mazda MX-81 Aria vor. Unter dem Blech steckte dabei die Technik des Mazda 323. Im Innenraum blickte Bertone weiterhin in die Zukunft – die Studie verfügt im Cockpit über einen Monitor. Doch es gab 1981 noch keine passenden LCD-Displays, so sitzt im Cockpit ein Röhrenmonitor.

Mazda MX-81 Aria
Automobile Zwillinge Nummer 4 – Mazda MX-81 Aria – unverkennbar ein Entwurf von Bertone (Foto: Mazda)

Den Rand des Monitors fasst ein aus Schaltern bestehendes Kunststoffband ein. Über diese Schalter lässt sich – theoretisch – das Auto steuern. Ob das funktioniert, bleibt offen. Mazda zeigt die Studie auf einigen Automessen, anschließend verschwindet das Einzelstück im Magazin von Mazda. Dort inspiriert die Front des Fahrzeugs später die Designer des 1989 vorgestellten Mazda 323F.

1982 – Citroën BX

Ende der 1970er-Jahre klaffte im Angebot des französischen Autobauers eine Lücke zwischen den Modellen GS und CX . Citroën startet das Projekt XB, um die Lücke zu füllen. Bertone ist zur Stelle und liefert das passende Design. Ausgangspunkt ist das ursprünglich für Reliant und Otosan entstandene Konzept – Citroën sichert sich die Rechte. Marcello Gandini entwickelt es im eigenen Designbüro weiter, wobei das Citroën-Design-Zentrum Vélizy den Italiener unterstützt.

Citroën BX
Automobile Zwillinge Nummer 5 – Mit dem Citroën BX reift das Design von Bertone 1982 tatsächlich noch zu einem Serienmodell. (Foto: Citroën)

1982 feierte der Citroën BX Premiere. Er galt fortan als Allzweckwaffe des französischen Autobauers. Sogar eine Gruppe-B-Version des BX entsteht. Dazu steht auch der BX für die schräge Avantgarde, die typisch für Autos von Citroën ist. In den Spitzenmodellen fasste eine Vakuum-Fluoreszenzanzeige als Drehzahlmesser den Walzentacho ein. Das holte einen kleinen Teil der digitalen Zukunft seiner Cousins von Volvo und Mazda in die analoge Gegenwart.

Denn die Keil-Mode ist inzwischen eigentlich ein alter Hut. Der Citroën BX steht 16 Jahre nach dem Beginn der Modewelle bei den Händlern. Seit dem Entwurf des Triumph SD2 sind bereits 8 Jahre vergangen. Das Interesse der Designer liegt inzwischen längst bei anderen Formen. So endet mit dem Citroën BX die Story über automobile Zwillinge.

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Als Kind der 1970er-Jahre hatte Tom das große Vergnügen, in einem ausgesprochen automobilen Umfeld aufzuwachsen. Das war der optimale Nährboden, um heute über Autos zu schreiben und regelmäßig am Mikrofon über Autos zu sprechen. Denn Tom Schwede moderiert seit 2010 bei großen Oldtimer- und Klassik-Veranstaltungen in Deutschland. So ist Tom unter anderem bei den Classic Days (früher Schloß Dyck, heute in Düsseldorf) oder dem 1.000 Kilometer-Rennen am Nürburgring zu hören. Wenn Sie also einen Moderator oder Streckensprecher für Ihre Oldtimer-Rallye oder Ihr Oldtimer-Treffen suchen, dann sind Sie bei Tom definitiv richtig!