Voiturette – die Kleinwagen als 2. Liga des Motorsports – Motorsport kompakt erklärt

von Tom Schwede am 08.06.2021

Schon in den Anfangstagen bildete sich unter der Klasse der Grand-Prix-Boliden eine kleinere Fahrzeugklasse heraus. Ihre Rennwagen bekamen den Namen Voiturette („Kleinwagen“ oder „Wägelchen“).

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Der 1933 gebaute MG KN Special war ein typischer Vertreter der ab 1931 gültigen Voiturette-Klasse. Grundlage des Rennwagens war der Seriensportwagen MG KN Magnette. In den Rennversionen rüstete MG den Sechszylinder der Magnette mit einem Kompressor aus. – Foto: Tom Schwede, Silverstone 2010

In den Anfangstagen des Motorsports waren die Regeln überschaubar. Denn wer als Erster das Ziel erreichte, der war Gewinner. Doch schon 1898 gab es beim Rennen „Marseille-Nizza“ erstmals verschiedene Wagenklassen. Wobei die Veranstalter das Gesamtgewicht der Rennwagen nutzten, um die Fahrzeug zu unterscheiden. Für die Spitzenklasse bürgerten sich bald Begriffe wie „Formula Libre“ oder „Grand-Prix-Klasse“ ein. Bei den kleineren Fahrzeugen sprachen Veranstalter, Fahrer und Fans bald von den Voiturette („Kleinwagen“ oder „Wägelchen“).

Die Voiturette im Wandel der Zeit

Ursprünglich sahen die Regeln für die kleinen Rennwagen einen maximalen Hubraum von 1,5 Litern vor. Trotzdem feierten Vertreter der Fahrzeugklasse immer wieder bemerkenswerte Erfolge. 1911 belegte ein Bugatti T10 mit nur 1.456 Kubikzentimetern Hubraum beim Grand Prix von Frankreich den zweiten Platz. Mit der Definition einer Hubraumgrenze war die Fahrzeugklasse übrigens ein Trendsetter. Denn in der Grand-Prix-Klasse galten noch Handicap-Formeln, die versuchten das Feld über die Parameter Verbrauch und Gewicht zu regulieren.

Der 1933 gebaute MG KN Special war ein typischer Vertreter der ab 1931 gültigen Voiturette-Klasse. Grundlage des Rennwagens war der Seriensportwagen MG KN Magnette. In den Rennversionen rüstete MG den Sechszylinder der Magnette mit einem Kompressor aus. (Foto: Tom Schwede, Silverstone 2010)

Der 1933 gebaute MG KN Special war ein typischer Vertreter der ab 1931 gültigen Voiturette-Klasse. Grundlage des Rennwagens war der Seriensportwagen MG KN Magnette. In den Rennversionen rüstete MG den Sechszylinder der Magnette mit einem Kompressor aus. (Foto: Tom Schwede, Silverstone 2010)

Erst 1914 gab es für die Top-Klasse erstmals eine Hubraum-Formel (4,5 Liter). Und noch vor dem Ersten Weltkrieg stieg auch der maximale Hubraum der Voiturette-Klasse auf drei Liter. Zudem definierten die Verantwortlichen ein Mindestgewicht von 800 Kilogramm. Nach dem Ersten Weltkrieg übernahmen sie diese Grenzen für die neue „Internationale Grand Prix Klasse“. Denn dafür hatten die passenden Fahrzeuge den Krieg überlebt. Damit stieg die II. Liga zur I. auf. Das war übrigens ein Muster, das sich im Laufe der Geschichte noch viermal (1926, 1948, 1952 und 1961) wiederholten sollte.

Hubraum und Mindestgewicht in der Voiturette-Klasse:

Der ERA R3A war – fertiggestellt im August 1934 – ursprüngliche Werksrennwagen mit einem 2-Liter-Motor. Zur Saison 1935 rüstete ERA den Rennwagen mit einem 1,5-Liter-Kompressor-Motor auf, um in der Voiturette anzutreten. Raymond Mays stellt mit dem R3A zunächst einen Weltrekord im Stehendanfahren auf und gewann dann unter anderem das Bergrennen von Shelsley Walsh. (Foto: Tom Schwede, Silverstone Classics 2010)

Der ERA R3A war – fertiggestellt im August 1934 – ursprüngliche Werksrennwagen mit einem 2-Liter-Motor. Zur Saison 1935 rüstete ERA den Rennwagen mit einem 1,5-Liter-Kompressor-Motor auf, um in der Voiturette anzutreten. Raymond Mays stellt mit dem R3A zunächst einen Weltrekord im Stehendanfahren auf und gewann dann unter anderem das Bergrennen von Shelsley Walsh. (Foto: Tom Schwede, Silverstone Classics 2010)

Mit Gründung der Commission Sportive Internationale (CSI) nahmen die Neufassung der Regeln an Fahrt auf. In der Folgezeit sank der Hubraum der Grand-Prix-Klasse kontinuierlich. Deshalb schrumpfte auch in der Kleinwagen-Klasse der Hubraum. Ab 1926 galt in der Voiturette eine Hubraumgrenze von 1,1 Litern. Doch schon 1927 löste sich die CSI wieder von Hubraumgrenzen. An ihre Stelle traten Gewichts- und Verbrauchsvorgaben. Damit entfiel zeitweise die „Kleinwagenklasse“. Doch ihre Rennen fanden vor allem in Frankreich und Großbritannien weiter statt.

1931 definierte die CSI die Voiturette-Klasse neu!

Fortan durften die Hersteller in dieser Klasse ihre maximal 1,5 Liter großen Motoren mit Kompressoren aufladen. Das entfachte das Feuer für die Fahrzeugklasse der Kleinwagen neu. Dominierende Marke dieser Zeit wurde English Racing Automobiles (ERA). Zeitweise waren die mit aufgeladenen Serienmotoren von Riley bestücken ERA fast unschlagbar. Viele Teilnehmer setzten umgebaute Seriensportwagen wie den MG K3 ein, der sich mit wendig Aufwand zum Voiturette umbauen lies. Auch Fahrzeuge von Maserati, wie die Typen Tipo 26, 4CM 1100 und 1500 sowie 6CM und 4CL galten als beliebte Sportgeräte.

Kein anderer Hersteller baute so viele unterschiedliche Voiturettes wie der italienische Autobauer aus Modena. In Frankreich bedienten Hersteller wie Amilcar, Delage, Salmson und Talbot die Klasse. Und natürlich Bugatti! Schon der Bugatti T37a schlug sich in der Klasse sehr erfolgreich. Als dann der wunderbare DOHC-Motor aus dem T51 zum T51a heruntergeschraubt wurde, schuf Bugatti ein Auto, das in den Jahren 1932 bis 1934 nur schwer zu schlagen war. Erfolgreichster Bugatti-Pilot dieser Ära war Pierre Veyron, dessen Namen bis heute mit der Marke Bugatti eng verbunden ist.

Alfa Romeo zog sich in die Voiturette-Klasse zurück!

Am Vorabend des Zweiten Weltkriegs dominierten Mercedes-Benz und Auto Union den Grand-Prix-Sport. Hersteller wie Alfa Romeo, Bugatti, Delahaye oder Maserati fuhren nur noch hinterher. Deshalb zog sich Alfa Romeo Ende 1938 aus der Grand Prix-Klasse zurück. Die neue Alfa Romeo Tipo 158 „Alfetta“ entstand sogar nach den Regeln der Voiturette-Klasse. Denn wie zufällig entschied der italienische Automobilverband gleichzeitig, keine Rennen der Grand-Prix-Klasse mehr durchzuführen. Stattdessen schrieb der Verband alle Rennen in Italien „nur“ für die 1,5-Liter-Rennformel der Voiturette aus.

Weshalb in Stuttgart mit dem Mercedes-Benz W 165 kurzfristig ein Auto für die Voiturette-Klasse entstand. Der Legende nach entstanden der Rennwagen und sein 1,5-Liter großer V8-Motor sowie dessen Vier-Ventil-Zylinderkopf innerhalb von nur acht Monaten. Mit ihm gewann Hermann Lang am Vorabend des Zweiten Weltkriegs den Gran Premio di Tripoli. Dann stoppte der Krieg den Boliden, der anders als die „Alfetta“ nur einen Sommer rennen durfte. Denn nach dem Zweiten Weltkrieg stiegen die Vorkriegs-Voiturette ab 1947 zur neuen Grand-Prix-Klasse auf.

Alfa Romeo nutzte dies, holte die „Alfetta“ aus der Garage und eilte fortan von Erfolg zu Erfolg. Der alte Gegner Mercedes-Benz konzentrierte sich stattdessen notgedrungen auf den Wiederaufbau. Es galt, die Schäden am Werk zu reparieren und wieder Autos zu bauen. Für den Einsatz des W 165 fehlte das Geld. Erst in den 1950er-Jahren begann sich auch Mercedes-Benz wieder im Motorsport zu engagieren. Erst kamen Vorkriegsboliden bei Formula Libre-Rennen in Südamerika auf dem Programm. Anschließend gewann Mercedes in Le Mans, um dann in die Formel 1 einzusteigen.

Jahr Voiturette
1911/12 3 Liter Hubraum bei 800 Kilogramm Mindestgewicht
Ab 1920 1,5 Liter Hubraum bei 600 Kilogramm Mindestgewicht
1926 1,1 Liter Hubraum
1931 1,5 Liter mit Kompressor

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