Rennsport-Geschichten

VW löst Volkswagen Motorsport auf

Und beendet ein Sterben, das 1982 begann!

Volkswagen verzichtet in Zukunft auf Motorsport und löst zum Jahresende mit Volkswagen Motorsport die eigene Motorsport-Tochter auf. Das ist eine weitreichende Entscheidung, denn sie ist die endgültige Abkehr vom Motorsport. Die Kritik daran, überlassen wir anderen. Denn eigentlich begann der Prozess, der jetzt zur Auflösung führt, doch schon vor Jahrzehnten.

Die Spurensuche beginnt in den 1960er-Jahren. Denn VW, hervorgegangen aus dem Träumen vom KdF-Wagen dunkler Jahre, war im ersten Jahrzehnt seiner Geschichte „nur“ die Fabrik von VW Käfer und VW Transporter. Motorsport spielte in Wolfsburg lange keine Rolle. Es war die Zeit des Wiederaufbaus. Dabei entstand am Mittellandkanal in rasender Geschwindigkeit ein weltweit tätiger Automobilkonzern. Jedes exportierte Fahrzeug spülte wichtige Devisen in das vom Krieg gebeutelte Land. Diese waren eine wichtige Triebfeder des Wirtschaftswunders.

Porsche-Rennleiter Huschke von Hanstein (links), hier im Gespräch mit Hans Herrmann, bringt die Formula Vee nach Europa. (Foto: Porsche)

Natürlich gab es ein paar, die mit dem VW Käfer bei motorsportlichen Wettbewerben antraten. Doch für das Werk war das nur eine Randnotiz. Das änderte sich erst in den 1960er-Jahren und rollte von außen auf das Unternehmen zu. In den USA begannen Motorsportler kleine Rennwagen zu bauen, die auf den Achsen und dem Motor des Käfers basierten. Der Sports Car Club of America (SCCA) fördert die Idee mit seinem ab 1963 gültigen Regelwerk für die „Formula Vee“.

Aus der Formel Vee wird die Formel V!

Nur ein Jahr nach Veröffentlichung des Reglements schreibt der SCCA im Rahmen seiner „National Championship Runoffs“ ein landesweites Finale für die neue Fahrzeugklasse aus. Auf dem Riverside International Raceway im Kalifornien steigt Lew Kerr mit einem Formcar zum ersten US-Champion der Formula Vee auf. Kerr geht als Sieger eines Rennens hervor, dem sich immerhin schon 16 Teilnehmer stellen. Schon sie sind jedoch nur die Spitze des Eisbergs. Denn für das Runoff im November qualifizierten sich die Besten aus sechs SCCA-Regionalmeisterschaften.

Die Idee Formula Vee ist in Amerika längst nicht mehr aufzuhalten. Zumal Volkswagen USA das Projekt bereits unterstützt. Bei einem Rennen in den USA lernt Huschke von Hanstein die kleinen Rennwagen kennen. Der damalige Porsche-Rennleiter ist von der Formula Vee sofort fasziniert und holt Ende 1964 zwei der Rennwagen nach Deutschland. Zusammen mit Richard von Frankenberg und Herbert Linge probiert von Hanstein die Modelle von Beach-Car und Formcar ausführlich aus. Die Drei sind sich sicher, das brauchen wir in Deutschland auch!

Szene aus einem Formel V Rennen 1968
Die Formel V erobert sich schnell den Platz als größte Nachwuchsklasse der Welt. Diese Szene aus einem Rennen 1968 zeigt, wie viel Käfer Technik in den Rennwagen enthalten war. (Foto: Volkswagen Media)

Schließlich fehlt nach dem Scheitern der Formel Junior eine günstige Einstiegsklasse. Und wer den Einstieg nicht findet, der kauft später auch keinen Rennwagen bei Porsche. Firmen-Chef Ferry Porsche kann diese Argumentation nachvollziehen, von Hanstein ordert je fünf Bausätze beider Fahrzeuge. Porsche-Mitarbeiter bauen die Fahrzeuge in Stuttgart auf. Sie bekommen deshalb einen Wagenpass mit der Herstellerangabe Porsche. Damit gelten sie heute unter Freunden der Fahrzeugklasse als Blaue Mauritius des Automobilsports.

Die Rennwagen sind der Stein, der die Bewegung jetzt auch in Europa ins Rollen bringt. Der rührige von Hanstein weckt mit geschickten Aktionen das Interesse von Sportfahrern. Dank seines direkten Drahts zur „Sportbehörde“ ONS, wo von Hanstein im Präsidium sitzt, gibt es schon im Sommer 1965 auch in Deutschland das passende Reglement. In Juni 1965 feiert die „Formel V“ am Norisring ihre offizielle Rennpremiere. Bereits vier Wochen später turnen die kleinen Flitzer im Rahmenprogramm des Großen Preis von Deutschland erstmals über den Nürburgring.

Die Idee der Formel-V zündet schnell!

Bereits 1966 schreibt die ONS den ersten nationalen ONS-Pokal der Formel V aus. Volkswagen steigt als Sponsor ein. Dafür gründen die Wolfsburger in Hannover „Volkswagen Motorsport“. Inzwischen verstehen offenbar auch die Verantwortlichen im Werk in Wolfsburg den Werbewert der kleinen Rennwagen. Die Sporteinsätze frischen schließlich das Image des inzwischen seit fast 20 Jahren gebauten Käfers auf. Auf die Meisterschaft in Deutschland folgen Meisterschaften in weiteren Ländern. Als Überbau entsteht der „Europa-Pokal der Formel V“.

Jochem Mass in einem Formel Super V
1971 stellt Volkswagen Motorsport der Formel V die Formel Super Bau zur Seite. Der spätere Grand-Prix-Sieger Jochen Mass rollt hier mit einem Kaimann zum Start.

Das günstige Konzept der Rennwagen sorgt überall für volle Felder. 1969 gibt es in Europa nach zeitgenössischen Schätzungen bereits mehr als 3.000 Rennwagen der neuen Fahrzeugklasse. Damit steigt die Formel V sofort zur größten Nachwuchsklasse der Welt auf. Zahlreiche spätere Grand-Prix-Piloten und mehrere Formel-1-Weltmeister absolvieren ihre ersten Monoposto-Einsätze in Rennwagen mit Käfer-Technik. Und als Volkswagen Motorsport 1971 mit der Formel Super V mit Typ-4-Motoren eine etwas schnellere Fahrzeugklasse definiert, gibt es endgültig kein Halten mehr. 

Volkswagen Motorsport ist das Zentrum eines Orkans!

Der Sturm der Formel Volkswagen kennt keine Flaute! Zahlreiche Rennwagen-Hersteller fachen den Wind mit immer neuen Rennwagen für die Volkswagen-Klassen weiter an. Die Fäden dieser wilden Reiter-Truppe hält Volkswagen Motorsport zusammen. In Hannover fallen Entscheidungen zum Reglement und wo die Truppe ausrückt. Die Veranstalter reißen sich um die Auftritte der Volkswagen-Klassen. Denn sie wissen, Rennen der Formel V und Super V garantieren Spektakel und sind beste Unterhaltung fürs zahlende Publikum.

Treibende Kraft wird 1972 Klaus-Peter Rosorius. Der ehemalige Hobbyrennfahrer übernimmt die Geschäftsführung von Volkswagen Motorsport. Rosorius kümmert sich zunächst um den Ausbau der Formel Super V, um dann weitere Markenpokale auf die Bühne zu heben. Ab 1976 stellt Volkswagen Motorsport den Formel-Klassen den Scirocco-Cup zur Seite. Für 15.550 Mark bekommen hier Nachwuchsfahrer ein „Sportgerät mit Dach“. Das nutzt beispielsweise Manfred Winkelhock für seine ersten Schritte im Motorsport. Rosorius versteht es immer wieder, den Vorständen in Wolfsburg neue Motorsport-Projekte zu verkaufen.

Anzeige von 1982: Mit Ralt und Brabham vertraut Volkswagen Motorsport beim Einstieg in die Formel 3 auf namhafte Partner. Trotzdem bleibt für das Marketing auch in der neuen Fahrzeugklasse der Bezug zur Serie wichtig.

Doch es ist nicht alles Gold, was glänzt. Denn nach Einführung der Formel Super V explodieren die Kosten. 1972 bietet der britische Rennwagenhersteller Lola einen Super V noch für 19.200 Mark an. In der Formel V 1300, wie die ursprüngliche Fahrzeugklasse inzwischen heißt, lag der Fahrzeugpreis noch bei circa 15.000 Mark. Schon 1973 springt der Preis eines Super V bei Lola 3.000 Mark höher, um nur ein Jahr weiter bei 30.000 Mark zu erreichen. Mit solchen Preisen bewegt sich die Formel Super V weit von der Idee einer Nachwuchsklasse weg.

Volkswagen Motorsport organisiert üppige Preisgeldtöpfe!

Für Ausgleich sorgt, dass VW und Sponsoren wie Castrol oder Dunlop die Serien üppig mit Preisgeld ausstatten. Im VW-Castrol-Europa-Pokal lockt 1977 pro Lauf ein Preisgeld von immerhin 20.400 Mark. Am Jahresende verteilt VW Motorsport an die ersten sechs der Meisterschaft weitere 50.000 Mark. Zusätzliches Geld gibt es im zeitweise ausgeschriebenen Dunlop-Trainingspokal, der Trainings-Ergebnisse honoriert. Wer regelmäßig an der Spitze fährt, kann somit durchaus gutes Geld verdienen.

1977 ist das letzte Jahr der Boxermotoren. Denn mit dem Ende der europäischen Käfer-Fertigung lässt VW die kleinere Formel-V-1300 auslaufen. 1978 ziehen wassergekühlte Reihenmotoren aus Passat, Golf und Scirocco in die Formel Super V ein. Die rückt damit noch näher an die Formel 3 ran, was die Kosten weiter steigen lässt. Das geht nur fünf Jahre gut. Ende 1982 läuft auch die Super V in Europa aus. Im Rückblick kommt Wehmut auf. Denn mit dem Abschied der Formel V und Formel Super V verlor Volkswagen Motorsport seinen Kern.

Mit den Jahren verliert der Breitensport an Bedeutung!

Doch schon im Finaljahr der eigenen Fahrzeugklasse lässt VW ein Formel-3-Werksteam von der Kette. Das lässt die eigenen Fahrzeugklassen bald vergessen. Denn praktisch sofort überdecken Erfolgsmeldungen den Abschiedsschmerz. John Nielsen fährt für VW bereits 1982 überlegen zum Formel-3-DM-Titel. Ein Jahr später verpasst der Däne den EM-Titel nur knapp. Zudem hält Volkswagen Motorsport auf dem losen Untergrund der Rallye-Artisten die Fahne der Marke VW hoch.

Der Hamburger Jochi Kleint tritt 1978 mit einem Golf Diesel bei der Rallye Monte Carlo an. (Foto: Volkswagen Media)

Bereits 1978 tritt Jochi Kleint mit einem VW Golf Diesel bei der Rallye Monte Carlo an. Ein Projekt, das zwar nicht um den Gesamtsieg kämpft, aber für viel Aufsehen sorgt. Ab 1980 gibt es im Rahmen der Deutschen Meisterschaft den Golf-Rallye-Pokal. Damit bleibt Volkswagen Motorsport sogar dem Breitensport noch einige Zeit verbunden. Und im Schatten der Gruppe B gewinnt Kenneth Eriksson 1986 mit dem VW Golf GTI 16V die Gruppe-A-Wertung der Rallye-Weltmeisterschaft.

Doch nach dem Scheitern der Gruppe B verpasst Volkswagen den Sprung auf die große Bühne. Der Rallye Golf taugt nicht als Herausforderer des Seriensiegers Lancia Delta Integrale. Denn mit seinem mechanisch angetriebenen Kompressor und der Visco-Kupplung im Antriebsstrang ist der ambitionierte Golf nicht konkurrenzfähig. VW erkennt das im letzten Moment, zieht die Reißleine und verzichtet auf ein WM-Projekt. Stattdessen holen Erwin Weber und Manfred Hiemer 1991 „nur“ den Titel in der Deutschen Rallye Meisterschaft.

Mit dem Golf GTI der ersten Generation startet Volkswagen Motorsport ein Rallye-Programm. Alfons Stock und Paul Schmuck setzen den GTI in der Deutschen Rallye-Meisterschaft ein. (Foto: Volkswagen Media)

Erfolgreicher ist VW in der Formel 3, wo die 1980er-Jahre heute als das VW-Jahrzehnt gelten. Ab 1984 holen VW-Piloten Volker Weidler, Kris Nissen, Bernd Schneider und Joachim Winkelhock vier deutsche Formel-3-Titel am Stück. 1990 gewinnt auch Michael Schumacher mit einem VW-Motor den Titel. Ein Jahr nach Michael Schumacher trägt sich VW-Pilot Tom Kristensen als Titelträger in die Geschichtsbücher der deutschen Formel 3 ein. Die Erfolge sind jedoch auch die Erfolge von Tuner Spiess, der die Formel-3-Motoren inzwischen vorbereitet.

Von Dakar in die Rallye-Weltmeisterschaft!

Mit der Lieferung von Motoren für die Formel König kümmert sich Volkswagen Motorsport ab 1997 wieder um den Nachwuchs. Es folgen Markenpokale mit dem Polo oder der Neuauflage des Scirocco, doch am Ende bleibt das Wiederaufleben der Nachwuchsförderung nur eine kurze Epoche. Denn unter der Regie des neuen VW-Motorsport-Direktors Kris Nissen nimmt Volkswagen Motorsport die Dakar in Angriff. Dort gewann bereits 1980 ein VW Iltis. Beim Comeback setzt VW zunächst einen speziellen Dakar-Buggy ein und geht dann mit dem VW Race Touareg in die Wüste. Doch nach langem Anlauf gelingt Volkswagen Motorsport erst 2009 der angestrebte Dakar-Gesamtsieg.

Der VW Iltis 1980 bei der Paris Dakar
1980 gewann Volkswagen Motorsport mit dem VW Iltis die Paris Dakar. Mehr als 20 Jahre später kehrt Volkswagen Motorsport in die Wüste zurück. (Foto: Volkswagen Media)

Nach weiteren Dakar-Erfolgen 2010 und 2011 wendet sich Volkswagen Motorsport der Rallye-WM zu. Hier dringt Volkswagen Motorsport sofort an die Spitze vor. Denn schon 2013 gewinnt Sébastien Ogier für Volkswagen den WM-Titel. Es ist der totale Erfolg, denn Volkswagen sichert sich auch den Hersteller-Titel. In den nächsten Jahren ist Volkswagen Motorsport in der Rallye-Szene die absolute Macht – auch wenn das kaum jemand wahrnimmt. Bis zum Rückzug aus der Rallye-WM Ende 2016 gehen alle Titel an Volkswagen. Von 2013 bis 2016 gewinnt VW satte 43 WM-Läufe, lässt so der Konkurrenz nur sechs WM-Läufe übrig.

Nach dem Rückzug aus der Rallye-WM wird es ruhig um VW Motorsport!

Zwar gibt es in Hannover seit Ende 2015 einen Golf TCR zu kaufen, doch die Dimensionen der 1970er-Jahre erreicht die TCR nie. Mit dem elektrischen ID.R begleitete Volkswagen Motorsport den von der Konzernspitze vorgegebenen Wandel zum Elektroauto. Die Rekordfahrt zum Pikes Peak war ein beeindruckendes Statement. Doch es blieb der einzige echte Einsatz des schnellen Elektroautos. Und ohne echten Wettbewerb ist Motorsport nur Marketing. Auf dem Weg zum selbstfahrenden Auto und dem Wandel vom Autobauer zum Mobilitätsdienstleister, scheint für Wettbewerb kein Platz zu sein. Daher ist das angekündigte Ende von Volkswagen Motorsport am Ende nur noch die Folge eines langen Niedergangs, der 1982 mit dem Ende der Formel Super V begann.

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Als Kind der 1970er-Jahre hatte Tom das große Vergnügen, in einem ausgesprochen automobilen Umfeld aufzuwachsen. Das war der optimale Nährboden, um heute über Autos zu schreiben und regelmäßig am Mikrofon über Autos zu sprechen. Denn Tom Schwede moderiert seit 2010 bei großen Oldtimer- und Klassik-Veranstaltungen in Deutschland. So ist Tom unter anderem bei den Classic Days (früher Schloß Dyck, heute in Düsseldorf) oder dem 1.000 Kilometer-Rennen am Nürburgring zu hören. Wenn Sie also einen Moderator oder Streckensprecher für Ihre Oldtimer-Rallye oder Ihr Oldtimer-Treffen suchen, dann sind Sie bei Tom definitiv richtig!

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